Suche innerhalb des Archivs / Search the Archive All words Any words

[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[infowar.de] USA: britische Journalistin in Handschellen abgeschoben



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
-------------------------------------------------------------

Ganz leicht off-topic, illustriert dieser Artikel dennoch den Umgang der
US-Regierung mit ausländischen Medien. Insofern zu sehen im Kontext der
Info-War/Krieg-der-Bilder/Medienkontrolle-Debatten.
RB


Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.05.2004, Nr. 108 / Seite 42

Medien
In Handschellen
Von Elena Lappin

10. Mai 2004 Als ich am Montag vor einer Woche auf dem Londoner
Flughafen Heathrow das Flugzeug nach Los Angeles bestieg, freute ich
mich auf meinen ersten Besuch in Kalifornien. Ich flog als freie
Journalistin im Auftrag einer britischen Zeitschrift dorthin, wollte mir
auf Einladung von Freunden während meines sechstägigen Aufenthalts aber
auch ein wenig das Land ansehen. Statt dessen verbrachte ich 26 Stunden
in einer Haftzelle, und meinen einzigen Blick auf Los Angeles warf ich
aus dem vergitterten Fenster des Gefangenentransporters, mit dem man
mich in Handschellen vom Flughafen zu dem in der Stadt gelegenen
Gefängnis fuhr.

Versehentlich war ich als ausländische Journalistin ohne das Pressevisum
auf amerikanischem Boden gelandet, das die neuen strengen Richtlinien
des Heimatschutzministeriums für die Einreise verlangen. Ich hatte nur
meinen britischen Paß bei mir, und wie die meisten anderen Besucher aus
Ländern mit vereinfachter Visumpflicht wußte ich nicht, daß die
Vereinigten Staaten seit März 2003 (als man dort das Ministerium für
Heimatschutz gründete, um den erhöhten Sicherheitsanforderungen nach dem
11. September zu genügen) in befreundeten Journalisten aus befreundeten
Ländern feindliche Ausländer erblicken, deren Absichten die staatlichen
Behörden einer genauen Überprüfung unterziehen müssen, bevor sie ihrer
Arbeit nachgehen dürfen.

In Handschellen in ein Gefängnis für Abschiebehäftlinge

Was für ein Land hat Angst vor der ausländischen Presse? Dieser Frage
nachzugehen hatte ich viel Zeit während meiner verstörenden,
demütigenden und zutiefst enttäuschenden Begegnung mit einem Amerika,
das nur noch ein Zerrbild jenes Landes ist, welches ich liebe. (Nur
Länder wie Kuba, Syrien, Iran, Nordkorea und vielleicht noch Zimbabwe
verlangen spezielle Visen von Journalisten.) Wenn ich mich bei der
Paßkontrolle als Touristin bezeichnet hätte, wäre ich mit einem Lächeln
durchgewinkt worden. Doch da ich mich wahrheitsgemäß als Journalistin zu
erkennen gab, wurde ich zu einer verdächtigen Person und an einen
"Aufsichtsbeamten" verwiesen.

Während ich meine Lage mehreren Beamten erklärte, war ich noch lange der
festen Überzeugung, mein unschuldiger Irrtum, der auf meiner (und meiner
Papiere) Unkenntnis hinsichtlich der neuen und immer noch unklaren
Visumpflichten basierte, werde sich rasch aufklären und dann verziehen
werden. Ich kam aus Großbritannien, das sich als treuer Verbündeter der
Vereinigten Staaten erwiesen hatte. Konnten sie mir wirklich die
Einreise verweigern? Es mag unglaublich scheinen, aber so kam es. Und
sobald die Entscheidung gefallen war, mich abzuschieben, behandelte man
mich wie einen gefährlichen Kriminellen, der keinerlei Grundrechte
besaß. Ich wurde abgetastet und durchsucht, desgleichen mein Gepäck. Man
nahm meine Fingerabdrücke und fotografierte mich. Dann führte man mich,
die Hände mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt - eine besonders
schmerzhafte und demütigende Methode -, durch das Flughafengebäude zu
einem Transporter und fuhr mich in ein Gefängnis für Abschiebehäftlinge.

Ein "Hafttank" hinter dicken Glaswänden ohne Stuhl oder Bett

In Handschellen zwischen all den freien Passagieren auf dem Flughafen
von Los Angeles hindurchgeführt zu werden war eine unbeschreiblich
befremdliche Erfahrung. Mehr als alles andere machte sie mir die
kafkaeske Tatsache deutlich, daß ich nun eine Gefangene war. Die Nacht
verbrachte ich in einem "Hafttank" hinter dicken Glaswänden ohne Stuhl
oder Bett. Er enthielt nur eine kaum vierzig Zentimeter breite
Stahlbank, eine Toilette und ein Waschbecken gleichfalls aus Stahl (und
beide voll einsehbar für alle, die vorbeigingen, wie auch für die alles
überblickende Kamera), eine grelle Neonleuchte und ein von Big Brother
kontrolliertes Fernsehgerät an einer Ecke der Decke, in dem die ganze
Nacht eine Shopping-Sendung lief. Ich konnte kaum atmen in diesem
Fischtank, aber es half nichts, daß ich wiederholt an die Scheibe
klopfte. Als schließlich ein Beamter vorbeiging, rief ich ihm durch die
Tür zu, daß mir schlecht sei, aber das interessierte ihn nicht.

Am Morgen brachte man mich (wiederum in Handschellen) zurück auf den
Flughafen, wo ich in einem Büro des Sicherheitsdienstes unter der
Bewachung von acht schläfrigen, fernsehschauenden Beamten den Rest des
Tages verbrachte und auf den Nachtflug nach London wartete. Während sie
ihr appetitanregendes Frühstück aßen, mußte ich viermal nach etwas
Eßbarem fragen und wurde angeschrien, bevor man mir etwas zu essen
holte, für das ich natürlich zu zahlen hatte.

Später fand ich heraus, daß ich nicht die einzige bin, die so etwas
erlebt hat. Zwölf Journalisten wurden im Jahr 2003 auf dem Flughafen von
Los Angeles festgenommen und abgeschoben, einen weiteren traf dieses
Schicksal auf einem anderen amerikanischen Flughafen. Als Häftling
durfte ich keinen Stift bei mir haben. Doch ich kann mich noch gut daran
erinnern, was ich gesehen habe: ein Land, das ein tiefes Gefühl der
Verunsicherung hinter einer Fassade aus Mißhandlung und willkürlicher
(wenn auch durchaus beabsichtigter) Mißachtung der bürgerlichen
Freiheiten versteckt. Der 3. Mai war übrigens der Weltpressetag.


Aus dem Englischen von Michael Bischoff.
Die Autorin schreibt für den "Guardian".

---------------------------------------------------------------
Liste verlassen: 
Mail an infowar -
 de-request -!
- infopeace -
 de mit "unsubscribe" im Text.