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[infowar.de] Im Krieg der Bilder (SZ zu den Exekutions- und Folter-Bildern)



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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SZ vom 13. Mai 2004

http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/723/31692/4/

12.05.2004   18:48 Uhr

Kommentar

Im Krieg der Bilder

Der widerwärtige Wettlauf um die bestialischsten Bilder aus dem Irak
markiert einen moralischen und zivilisatorischen Tiefpunkt. Der zunächst
nur auf einem Nebenschauplatz angesiedelte Krieg der Bilder hat sich
verselbstständigt.
Von Peter Münch
 

Die Auseinandersetzung im Irak wird mit den Mitteln der modernen Technik
auf dem Niveau der Steinzeit geführt. Die amerikanische Geisel Nicholas
Berg ist von seinen Entführern geköpft worden ? ein archaisch anmutender
Mord, der im 21. Jahrhundert von den Tätern als Videoclip ins Internet
gestellt wird.

Auf die digitalen Folterfotos aus dem Gefängnis Abu Ghraib folgt nun von
der anderen Seite die verfilmte Hinrichtung. Ein solch widerwärtiger
Wettlauf um die bestialischsten Bilder markiert einen moralischen und
zivilisatorischen Tiefpunkt.

Die westliche Welt pflegte die Mär vom sauberen Krieg

Dieser Tiefpunkt wird allerdings nicht erreicht durch ein neues Maß an
Grausamkeit. Die Kriege von heute sind nicht schlimmer, blutiger,
unmoralischer als die zu jeder Zeit. Aber sie sind letztlich auch nicht
besser, unblutiger, chirurgischer. Selbst wenn sie nicht mehr in großen
Völkerschlachten geführt werden, sondern aus der Distanz und mit
High-Tech-Waffen, so wird weder virtuell gekämpft noch virtuell
gestorben.

Genau dieser Eindruck war allerdings eine Zeit lang mithilfe von Fotos
und Videoclips vermittelt worden. Zumindest die westliche Welt pflegte
die Mär vom sauberen Krieg. Die vom Militär verbreiteten oder zensierten
Bilder aus Bagdad, Kabul oder Belgrad wirkten so, als wären sie von
Blutflecken chemisch gereinigt worden. Gezeigt wurden die von den Bomben
ausgelösten Blitze am Nachthimmel und nicht die Leichen am Boden.

Die jüngsten Aufnahmen von Folter und Enthauptung stehen für das
Gegenteil. Und sie belegen nicht nur, dass die Amerikaner die Hoheit
über die Bilder verloren haben, seit es neben CNN auch al-Dschasira und
über allem das Internet gibt. Sie dokumentieren vor allem, dass sich der
zunächst nur auf einem Nebenschauplatz angesiedelte Krieg der Bilder
verselbstständigt hat.

Er drängt dominant in den Mittelpunkt des Geschehens ? und die
ursprüngliche Intention hat sich dabei ins Gegenteil verkehrt: Was in
der Kriegsführung des Westens noch durch Bilder propagandistisch
verschleiert werden sollte, nämlich die Grausamkeit eines Konflikts,
wird nun durch besonders grausame Bilder propagandistisch überspitzt.

Die Henker des Nicholas Berg setzten jedoch nicht nur auf die
Schockwirkung, die ein Video ihrer Untat automatisch auslöst. Dies wäre
tatsächlich nichts Neues: Schließlich gibt es die Fotos vom gekaperten
Kreuzfahrtschiff Achille Lauro aus dem Jahre 1985, wo der
Rollstuhlfahrer Leon Klinghoffer von den Entführern ermordet und ins
Meer geworfen worden war.

Zum Zwecke der psychologisch-brutalsten Kriegsführung

Und vor mehr als zwei Jahren schon wurde in Karatschi ein Video
aufgenommen, das die Enthauptung des gekidnappten US-Reporters Daniel
Pearl durch eine islamistische Bande zeigt. Unmenschliche Grausamkeit,
ins Bild gebannt zum Zwecke der psychologisch-brutalsten Kriegsführung,
kennt man zudem aus Mogadischu und neuerdings aus Falludscha, wo die
Leichen von Amerikanern geschändet und durch die Straßen gezerrt worden
waren.

Neu am Video der Hinrichtung Nicholas Bergs ist jedoch, dass es bei
diesen Bildern nicht nur um Rache, sondern auch um Rechtfertigung geht.
Die Mörder sprechen davon, dass dies eine direkte Antwort sei auf die
Misshandlungen von Gefangenen durch US-Soldaten. Die aktuell ins
Weltgewissen eingebrannten Bilder der gequälten Iraker werden dabei von
den Tätern gegengeschnitten mit dem Bild des gequälten Amerikaners.

Auge um Auge, Zahn um Zahn, heißt die Botschaft. Um das Symbolbild
perfekt zu machen, steckten die Terroristen ihr Opfer in einen
orangefarbenen Overall, wie ihn auch die Gefangenen der USA im
Anti-Terror-Krieg tragen müssen.

Guantanamo und Abu Ghraib ? ganz gezielt setzen die Killer ihre Untat
visuell in einen direkten Bezug zu Verfehlungen der Amerikaner. Das ist
faktisch falsch, denn erstens kann niemals durch Gewalt Gleiches mit
Gleichem vergolten werden. So schlimm die Misshandlungen und so
unrechtmäßig die Haftbedingungen auch sind, können sie nicht als
Rechtfertigung für einen Mord herhalten.

Und zweitens ist die pseudo-moralische Rechtfertigung heuchlerisch, weil
solche Grausamkeiten ? siehe oben ? schon praktiziert wurden, als in Abu
Ghraib noch Saddam Hussein und nicht eine fehlgeleitete US-Soldatin
folterte.

Im Krieg der Bilder sind die USA in der Defensive

Dennoch wird das Hinrichtungsvideo seine Wirkung nicht verfehlen, vor
allem nicht in der arabischen und islamischen Welt. Dies zeigt, wie sehr
die USA auch im Krieg der Bilder in die Defensive geraten sind.
Ausgerechnet jene Macht, die wie keine andere die visuelle Kriegsführung
perfektioniert hatte, muss nun die Bilder fürchten ? Fotos von den
eigenen Taten ebenso wie ein grausames Video des Feindes.

Aus dieser Falle, in der Washington seit der Veröffentlichung der
Abu-Ghraib-Bilder steckt, führt nur ein Weg: Alle auch noch so
niederschmetternden Details des Foltergates müssen aufgeklärt werden.
Nur so wird Washington wieder die offene Flanke schließen können, die
nun seine Feinde zu nutzen wissen.

Das wird die Wut und die Gewalt der Terroristen nicht verringern. Aber
wenigstens würde dann im Krieg der Bilder die Wahrheit wieder etwas
gelten ? wenigstens auf einer Seite der Front.

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