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[infowar.de] "Al-Dschasira verliert seine kritische Funktion"



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http://www.telepolis.de/deutsch/special/ost/17786/1.html 

"Al-Dschasira verliert seine kritische Funktion"

Harald Neuber   02.07.2004 

Der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez im Telepolis-Interview über 
die arabischen Satellitensender, das politische Umfeld und die neue 
Konkurrenz aus den USA 

Lange Zeit war der seit 1996 im arabischen Wüstenstaat Katar ansässige 
Satellitensender  Al-Dschasira [1] der einzige panarabische 
Informationskanal. Entgegen seiner heutigen Berichterstattung verfolgte 
die Redaktion lange Zeit nicht nur eine US-kritische Linie, sondern 
ließ auch Gegner arabischer Regierungen zu Wort kommen (  Sex, Religion 
und Politik [2]). Mit dem in Washington erklärten "Krieg gegen den 
Terrorismus" und der Mobilisierung der US-Armee nach Afghanistan (2001) 
und Irak (2003) hat sich das geändert. Mit der politischen Zuspitzung 
ging seither auch die Gründung weiterer Sender mit unterschiedlichen 
Interessen einher. Seit Februar 2003 sendet aus Dubai der saudisch 
finanzierte Kanal Al-Arabia, im Februar dieses Jahres kam der 
arabischsprachige US-Sender Al-Hurrah hinzu. 

Telepolis sprach mit dem Kommunikationswissenschaftler an der 
Universität Erfurt und Experten für arabische Medien, Kai Hafez, über 
Gefahren und Chancen dieser Entwicklung.   

 Herr Hafez, welche Rolle spielen Sender wie Al-Dschasira oder 
Al-Arabia im laufenden Konflikt im Irak?  

   Kai Hafez: Die Rolle dieser Sender ist in der Fachwelt sehr 
umstritten. Das ist vor wenigen Tagen auch bei einer Konferenz in 
Berlin deutlich geworden, bei der von Journalisten und Medienforschern 
aus aller Welt die Entwicklung dieser Medien diskutiert wurde (  Die 
vierte Macht [3]). Auf der einen Seite war dort die Meinung vertreten, 
dass durch Al-Dschasira und vergleichbare Satellitenfernsehsender ein 
neuer arabischer Dialograum entstanden ist, in dem erstmals auch wieder 
regionale Politik diskutiert wird. Diese Debatten wurden in den 
nationalstaatlichen Medien in der Vergangenheit immer wieder zensiert. 
Das ist bei diesen neuen Sendern nicht mehr in diesem Maße der Fall, 
weil sie keiner speziellen Regierung unterstehen.    

 Wobei Al-Arabia ein saudisches Unternehmen ist ...  

   Kai Hafez: Graduelle Abstufungen müssen bei diesem Urteil natürlich 
gemacht werden. Al-Dschasira ist sicherlich der liberalste von allen 
Sendern. Al-Arabia hingegen sind bei der Berichterstattung über 
Regierungen, die mit Saudi-Arabien befreundet sind, ganz klare Grenze 
gesetzt. Der Sender hat zwar eine Meinung zur Weltpolitik, aber nur 
begrenzt zum regionalen arabischen Geschehen.    

 Trifft das auch auf die Berichterstattung über den Konflikt in Irak 
zu?  

   Kai Hafez: Dabei gibt es im Vergleich zu den nicht-arabischen Medien 
eine generell  andere Perspektive [4] auf die Dinge. Ich sehe die 
großen arabischen Satellitensender dabei inzwischen leider weniger als 
ein produktives Politikforum zur Diskussion der Irakfrage, sondern als 
Propagandaplattform gegen die Amerikaner. Sie knüpfen heute im Grunde 
an die panarabische Propagandapolitik an, die von dem früheren 
ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser mit Radiosendern betrieben 
wurde. Gerade bei Al-Dschasira hat nach dem 11. September 2001 und vor 
allen Dingen durch den Irakkrieg eine Verschiebung von einem wichtigen 
systemkritischen Ansatz hin zu einer stärker antiamerikanischen und 
antiisraelische Propaganda stattgefunden.    

 Welche Indikatoren stehen dafür?  

   Kai Hafez: Etwa die ausführliche Berichterstattung über die 
Beerdigung von Scheich Jassin, dem Anführer der palästinensischen 
Hamas-Organisation. Das war journalistisch gesehen eine sehr 
umstrittene Sache. Es ist meiner Meinung nach eine bewusste 
redaktionelle Entscheidung gewesen, dem Mann diese Art von Publizität 
zukommen zu lassen, die sich in der Folge wiederum mobilisierend auf 
der Straße ausgewirkt hat. Eine Redakteurin von Al-Dschasira - übrigens 
eine der Irakkorrespondenten - hat dies unlängst in Berlin damit 
verteidigt, dass die Europäer eine solche Berichterstattung beim Tode 
von Lady Di auch akzeptiert hätten. In einem anderen Gespräch wurde 
Jassin mit Che Guevara verglichen. Solche Vergleiche halte ich für 
unausgegoren. Dahinter steht kein journalistisches Konzept. Eine solche 
Berichterstattung läuft darauf hinaus, dem Volk zu liefern, was es 
will. Und der Großteil der Araber wünscht sich eben eine 
antiamerikanische Mobilisierung, möglicherweise mit einem gewissen 
Sensationalismus, möglicherweise auch um jeden Preis. Al-Dschasira wird 
daher in zunehmendem Maße Teil einer öffentlichen 
Mobilisierungsmaschinerie.    

 Eine zu verallgemeinernde Entwicklung?  

   Kai Hafez: Ich denke schon. Vor einigen Jahren hat sich Al-Dschasira 
etwa im arabisch-israelischen Konflikt bemüht, auch israelische 
Positionen einzubringen. Heute gibt es diese Stimmen zwar immer noch, 
sie werden aber durch anschließenden Kommentare, Interpretationen oder 
Diskussionssendungen eindeutig dekonstruiert. Was bleibt, sind 
isolierte Originaltöne, die gleich im Anschluss für das arabische 
Publikum in einen kritischen Kontext interpretiert werden. Das ist eine 
klare Tendenz hin zu einem sehr einseitigen Journalismus.    

 Welche Konsequenzen hat der Wandel in der Berichterstattung von 
Al-Dschasira Ihrer Meinung nach?  

   Kai Hafez: Durch die US-amerikanische Politik in der Region ist 
Al-Dschasira immer stärker zu einem Sprachrohr der Gegner dieser 
Politik geworden - was an sich nicht falsch ist. Es besteht aber die 
Tendenz, dass die innerarabischen Probleme immer weiter in den 
Hintergrund gedrängt werden und dem Sender dadurch ein Teil seiner 
kritischen und aufklärerischen Funktion verloren gehen könnte.    

 Nun ist bei den US-amerikanischen Fernsehsendern eine ähnliche 
Entwicklung zu beobachten. Der Sender Fox News hat mit seiner radikalen 
Berichterstattung gegen die Taliban Ende 2001 einen Zuwachs der 
Einschaltquote um 46 Prozent verzeichnet. Selbst in den USA aber wurde 
der Bericht eines Fox-News-Korrespondenten aus dem afghanischen 
Jalalabad diskutiert, der sich vor laufender Kamera mit einem Gewehr in 
der Hand dazu bekannte, Osama bin-Laden töten zu wollen. Wer bedingt 
hier wessen Entwicklung?   

   Kai Hafez: Das ist nicht auszumachen, aber unbestritten droht 
Al-Dschasira von einer arabischen BBC zu einem arabischen Fox News zu 
werden. Diese Tendenz wird inzwischen selbst von vielen arabischen 
Journalisten kritisch gesehen. Auf entsprechenden Tagungen mit 
arabischen Journalisten wird Al-Dschasira mittlerweile mindestens 
ebenso viel kritisiert wie gelobt, weil man die Ansätze des anfangs von 
Al-Dschasira geförderten kritischen Journalismus nun durch den Sender 
fast schon wieder gefährdet sieht. Al-Dschasira hat inzwischen schon 
fast die Funktion einer Partei übernommen. In Abwesenheit existierender 
und funktionierender parlamentarischer Demokratien, Opposition und 
Parteienkräfte haben die panarabischen Satellitensender so etwas wie 
die Funktion der Artikulation von Volkes Willen übernommen.    

 Zeichnet sich Ihrer Meinung denn mittelfristig eine Spaltung der 
Berichterstattung entlang subjektiver politischer Sichtweisen ab?  

   Kai Hafez: Ich setzte viel Hoffnung in die neue Konkurrenz durch 
Sender wie Al-Arabia. Selbst die Gründung des neuen US-finanzierten 
Senders Al-Hurrah hat die Leitung von Al-Dschasira aufhorchen lassen. 
Bei den arabischen Zuschauern wird durch diese Konkurrenz die 
Medienkompetenz gefördert, denn sie werden dadurch gewissermaßen zu 
ihrer eigenen Informationselite. Jeder Konsument muss inzwischen 
wissen, dass man bei Al-Dschasira die katarische Innenpolitik und bei 
Al-Arabia die saudi-arabische Innenpolitik nicht kritisiert. Aber meine 
Skepsis an eine gesunde Konkurrenz bleibt angesichts einer relativen 
Pluralität im autoritären Kontext der politischen Systeme in der Region 
bestehen. Hinzu kommt, dass die Eigentümerstrukturen der panarabischen 
Sender deutlich saudisch dominiert sind. Dahinter steht entweder 
libanesisches oder saudisches Kapital. In europäischen Maßstäben 
gemessen kommt die einer Konkurrenz zwischen Kirch, Berlusconi und 
Murdock gleicht.    

 Welche Chancen geben Sie dem amerikanisch finanzierten Sender 
Al-Hurrah?  

   Kai Hafez: Wenig. Man muss sich klarmachen, dass die Kritik der 
US-Regierung an Al-Dschasira vor allen Dingen eine instrumentalisierte 
Kritik ist. Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber der heutigen 
Berichterstattung von Al-Dschasira darf man nicht vergessen, dass die 
 US-Kritiker [5] mit Al-Hurrah ein Modell ins Spiel gebracht haben, das 
von vornherein nur sehr begrenzt zur Information beiträgt. Die Gründung 
von Al-Hurrah ist ein klarer Rückfall in die klassische 
Propagandapolitik, wie sie schon mit Radio Free Europe und anderen 
Sendern betrieben wurde. Es ist ja kein Zufall, dass eine der ersten 
Sendungen von Al-Hurrah eine Rede des amerikanischen Präsidenten 
gewesen ist. Das Vertrauen in solche Medien wird in der arabischen Welt 
nie groß sein. Die Frage wird sein, ob die arabischen Fernsehsender ein 
über Jahre hinweg erfolgreiches Experiment fortsetzen können, oder ob 
sie nun in ein Kräftemessen verfallen, in dem ein zensiertes 
Nachrichtenwesen saudischer Art gegen eine neue panarabische 
Straßenmobilisierung gesetzt wird.   

Links 

[1] http://www.aljazeera.net/
[2] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/9740/1.html
[3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/17760/1.html
[4] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/17411/1.html
[5] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/17653/1.html



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