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[infowar.de] TP: Schwacher Herkules oder entfesselter Mars?
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Schwacher Herkules oder entfesselter Mars?
Harald Neuber 12.07.2004
Die IT-Modernisierung der Bundeswehr ist nach dem Scheitern der
Verhandlungen aufgeschoben, ein neues Konsortium soll eine flächendeckende
Informationstechnologie für die Bundeswehr gewährleisten - aber mit
welchem Ziel?
Es ist das größte Modernisierungsvorhaben in der Geschichte der
Bundeswehr: Im Rahmen des Projektes "Herkules" sollen die gesamten Daten-
und Kommunikationsnetzwerke der bundesdeutschen Armee angeglichen werden.
Ziel des Projektes sei es, so SPD-Verteidigungsminister Peter Struck, die
"Effizienz der Streitkräfte immens zu steigern". Mit dem
informationstechnologischen Modernisierungsprogramm werde die Bundeswehr
endlich "an den NATO-Erfordernissen ausgerichtet", schwärmt der
Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, Bernhard Gertz. Die Kompatibilität
mit den Systemen der NATO-Partner, so Gertz, habe schließlich "absolute
Priorität".
Vorerst aber ist das Projekt auf Eis gelegt, nachdem die Verhandlungen
zwischen dem Verteidigungsministerium und dem privaten Konsortium ISIC21
nach fast zwei Jahren Vorbereitung Anfang des Monats überraschend
gescheitert sind. Die Gruppe aus den Rüstungskonzern European Aeronautic
Defence and Space Company (EADS), dem Telekommunikationsunternehmen
Mobilcom und der Beraterfirma CSC Ploenzke bestand neben dem
ausgeschriebenen Milliardenbetrag auf einen Zuschlag von 500 Millionen
Euro.
Zuviel für die Bundesregierung - nach wochenlangen Verhandlungen
scheiterten die Gespräche am 1. Juli. Als Grund führte EADS
"vergaberechtliche Restriktionen" des Verteidigungsministeriums an. Nun
soll es das bei der Auftragsvergabe im Jahr 2002 unterlegene
TIS-Konsortium aus Telekom (T-Systems), IBM und dem Siemens
Business-Service richten. Ziel bleibt, was den insgesamt sieben
Bewerberkonsortien Anfang 2002 erklärt wurde: "Wenn alles ausfällt, muss
die Truppe erreichbar sein."
6,65 Milliarden Euro lässt sich die Bundesregierung eine tatsächliche
Herkules-Aufgabe kosten: Im Laufe von zehn Jahren sollen 300.000 Telefone
und 140.000 Computerarbeitsplätze auf einer gemeinsamen Systembasis
eingerichtet werden. Bereits im April 2002 hatte der Struck-Amtsvorgänger
Rudolf Scharping auf einer Kommandeurstagung in Hannover in Bezug auf das
Herkules-Projekt "die Einführung der standardisierten Unternehmenssoftware
SAP-R3" bei der Bundeswehr angekündigt. "Nach Art und Umfang ein
einzigartiges Vorhaben in der IT-Branche", so Scharping damals. Das dürfte
nicht übertrieben sein, denn immerhin arbeiten gut 450.000
Bundeswehr-Mitarbeiter an über 600 Standorten bislang mit mehreren Hundert
Insel- und Extralösungen im Soft- und Hardwarebereich.
Das jüngste Scheitern des Mega-Projektes lieferte der Opposition indes
eine Steilvorlage für politische Attacken. So erklärte der
haushaltspolitische Sprecher der FDP, Jürgen Koppelin, seit Beginn des
Projektes an vor einem Finanzchaos gewarnt zu haben. Die
SPD-Sachverständige Elke Leonhard will inzwischen schon wieder ganz von
einer Beteiligung privater Geschäftspartner absehen. Ihrer Meinung nach
soll die Bundeswehr das Projekt nun selber satteln. Nach bisherigen Plänen
soll nach einer mehrmonatigen Bestandsaufnahme - im Fall des
ISIC21-Konsotiums hatte die fast ein Jahr gedauert - eine teilprivate
IT-Gesellschaft gegründet werden, an der die Privatunternehmen 50,1
Prozent und der Bund 49,9 Prozent halten.
Politisch betrachtet ist das größte Modernisierungs- und
Privatisierungsprojekt im Kontext des NATO-Ausbaus einzuordnen. Die
unterschiedlichen Systeme hätten im transatlantischen Bündnis, so wird zur
Erklärung des Projektes angeführt, bislang immer wieder zu Komplikationen
geführt. Im Rahmen der Ausrichtung auf die "neuen Aufgaben" der
NATO-Armeen sei daher eine Angleichung nötig. Dass die nun an Geldfragen
gescheitert ist, könnte unvorhergesehene Folgen haben. Wohin der
Finanzstreit um die Bundeswehr führen kann, ließ sich schon in einer
Bundestagsdebatte am 11. März erkennen. In der Diskussion hatten
Unionspolitiker eben aus Finanzgründen den Einsatz der Truppe im Inneren
gefordert.
Angesichts der sehr engen öffentlichen Haushalte und da wir alle ja der
Ansicht sind, dass zwischen innerer und äußerer Sicherheit keine klare
Trennschärfe mehr besteht, halte ich es für geradezu absurd, für den
Bereich der inneren Sicherheit parallele Strukturen aufzubauen, nur weil
man an dem alten Dogma festhalten will, dass sich die Bundeswehr unter
Berücksichtigung unserer Verfassungsordnung nicht auf die neuen
Herausforderungen im Innern einstellen darf.
CDU-Abgeordneter Eckart von Klaeden am 11. März im Bundestag
Nach Angaben des Abrüstungsexperten Tobias Pflüger von der
Informationsstelle Militarisierung in Tübingen handelt es sich bei dem
Herkules-Projekt um eines der größten Rüstungsvorhaben der Bundeswehr.
"Finanziell betrachtet steht das IT-Vorhaben gleich hinter dem Eurofighter
und dem Militärairbus auf dem dritten Platz", sagte Pflüger im Gespräch
mit Telepolis. Die Modernisierung der Daten- und Kommunikationsstrukturen
sei "ausschlaggebend für die Fähigkeit zur Kriegsführung", sowohl bei der
Planung als auch bei Umsetzung und auf dem Schlachtfeld. "Spannend wird
sein, ob nun ähnliche Projekte auch bei den Streitkräften der neuen
NATO-Mitgliedsstaaten in Osteuropa in Angriff genommen werden", so
Pflüger.
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last modified: 12.07.2004
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