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[infowar.de] Weniger Blut bei Al Dschasira
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http://www.welt.de/data/2004/07/16/305785.html
DIE WELT, 16. Juli 2004
Weniger Blut bei Al Dschasira
Der Sender mit den Terror-Videos will nun ethische Grundsätze beachten.
Ob das gelingt, ist jedoch fraglich
von Christiane Buck
Al Dschasira will nicht mehr als Terror-Sender gelten. Deshalb lud der
Nachrichtensender aus Katar jetzt zu einer ersten, selbst inszenierten
Medienkonferenz nach Doha ein. Dort wollte er 120 ausgewählten
Fernsehjournalisten seinen neuen Ethik-Kodex präsentieren. Künftig soll
"zwischen Nachrichten, Meinung und Analyse unterschieden werden", so
Nachrichtenchef Ahmed Sheikh. "Spekulation und Propaganda sind zu
vermeiden", außerdem sollen die "Gefühle der Opfer von Gewalt, Krieg und
Katastrophen respektiert werden."
Doch was ist daran neu? Wie, das war die unausgesprochene Frage bei der
Konferenz, hat denn Al Dschasira bisher gearbeitet? Schließlich gehören
diese Grundsätze zu den Grundbausteinen jeder journalistischen Arbeit.
Vorwürfe dieser Art hört der Generaldirektor des Senders, Waddah Kanfar,
nur ungern. Er und seine Marketing-Abteilung arbeiten intensiv an einer
Image-Kampagne für den Sender. Seit Anfang dieses Jahres wird arabischen
Journalisten in einem Ausbildungszentrum des Senders das Handwerk
beigebracht, einschließlich der neuen Ethik. Damit, so Khanfars
Hoffnung, soll sein Team künftig noch professioneller "mit menschlichem
Leiden und Tod in Krieg und Konflikten umgehen können".
Ob die 750 Journalisten aus 25 Ländern, die für den Sender arbeiten,
hier aber zu einem Konsens kommen, ist allerdings fraglich. Selbst
Nachrichtenchef Ahmed Al Sheikh verteidigt die oft blutige
Berichterstattung aus Kriegs- und Krisengebieten: "Manche Leute sagen,
dass wir unseren Zuschauern Albträume bereiten und zu viel Blut zeigen."
Aber er ist der festen Meinung: "Wenn wir nicht die hässliche Seite des
Krieges zeigen, würden wir unseren Kriterien treu bleiben? Würden wir
das Gesicht des Krieges nicht schöner malen?"
Mit der Berichterstattung aus Afghanistan und dem Irak-Krieg ist der
gerade einmal acht Jahre alte Sender berühmt geworden. Über 40 Millionen
Zuschauer weltweit sehen den Nachrichtensender über Satellit. Inzwischen
sind die fast täglich ausgestrahlten Videos mit im Irak Entführten zum
Markenzeichen von Al Dschasira geworden, ebenso wie zuvor die Aufnahmen
der Al Quaida. Warum diese überhaupt ausgestrahlt werden? Ahmed Al
Sheikh sagt: "Wir senden sie, weil sie Nachrichtenwert haben. Aber wir
zeigen ja auch nur Ausschnitte, und es gibt keinen universellen Standard
dafür."
Für den Nachrichtenchef von Abu Dhabi TV, Nart Bouran, ist dieses
Verhalten unverantwortlich: "Auch wir bekommen Videos zugesteckt, lehnen
deren Ausstrahlung aber ab. Wir fördern keine Terroristen."
Das ist ein sehr sensibles Thema für Al Dschasira, schließlich wird dem
Star-Reporter Taysir Allouni in Madrid vorgeworfen, intensive Kontakte
zum Terrornetzwerk Al Qaida gepflegt zu haben. Er durfte das Gefängnis
inzwischen auf Kaution verlassen und wartet in Spanien auf sein Urteil.
Für die Konferenz wurde er live zur Zentrale nach Doha zugeschaltet -
ein deutliches Signal für alle Teilnehmer, dass der Sender hinter seinem
Reporter steht. Alles andere wäre auch fatal für die Glaubwürdigkeit des
Senders.
Al Dschasira hat nicht erst seit der Ausstrahlung der umstrittenen
Videos eine große politische Verantwortung übernommen. Manche
Medienbeobachter sprechen auch gerne von Al Dschasira als "größte
politische Partei" in Arabien. Der Präsident des Weltverbandes der
Zeitungsverleger, Bertrand Picquerie, sieht den Sender als ein
"politisches Projekt", das noch "unreif" sei. Der Journalist Jamil Azar,
der eine kontroverse Talk-Show präsentiert, hat mit solchen Ansichten
kein Problem: "Medien haben die Verpflichtung, Teil der Politik zu
sein." Seiner Meinung nach ist Al Dschasira sehr effektiv darin, der
Welt die arabische Meinung zu vermitteln und internationale
Entwicklungen aus der arabischen Perspektive zu zeigen. Der
charismatische Journalist ist überzeugt: "Natürlich müssen wir
voreingenommen gegenüber der arabischen Nation sein. Wir sind ein Teil
von ihr."
Der Sender will weiter expandieren und verfolgt dafür mehrere Projekte.
Im November 2003 startete ein eigener Sportkanal, Anfang 2005 soll ein
Dokumentarkanal folgen, kurz danach ein Kinderkanal. Und mit einem
englischen Sender soll ab Mitte 2005 auch ein internationales Publikum
erreicht werden. Auf diese ehrgeizigen Pläne bereitet sich Al Dschasira
vor, auch wenn für ihre Umsetzung noch längst nicht ausreichend
Journalisten rekrutiert wurden. Das Hauptquartier in Doha, ein
schuhkartonförmiges Gebäude mit einem dunkelblauen Dach, wurde aber
bereits erweitert und ausgebaut. Auf den Gängen riecht es nach frischer
Farbe, viele Büros sind noch leer. Nur in einem riesigen Studio sind
schon einige Computer aufgebaut und warten auf die neuen Mitarbeiter.
Für solche Pläne braucht man viel Kapital. Bisher bezahlt die katarische
Regierung den Löwenanteil der jährlichen Kosten von offiziell 30
Millionen US-Dollar. Jetzt hat Al Dschasira nach Angaben seines
Pressesprechers Jihad Balout eine Studie in Auftrag gegeben, die eine
Privatisierung des Senders untersuchen soll sowie einen möglichen Gang
an die Börse von Katar.
Der Manager des Senders, Waddah Kanfar, rechnet in Zukunft auch mit
erhöhten Werbeeinnahmen, die bislang "aus politischen Gründen" nur
spärlich fließen. Eine Kommerzialisierung würde aber auch eine
CNN-isierung des Senders bedeuten, der damit seine arabische
Einzigartigkeit verlieren könnte. Vielleicht müsste Al Dschasira aber
einfach auch nur auf Videos von Terroristen verzichten, um für die
Werbeindustrie attraktiv zu sein? Ein neues Image wäre dann einfacher zu
haben.
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