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[infowar.de] Und ewig loggt das Leben. US-Soldaten zu Informationsmaschinen: Das ASSIST-Projekt
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Und ewig loggt das Leben
US-Soldaten zu Informationsmaschinen: Das ASSIST-Projekt
Süddeutsche Zeitung, 30 September 2004
Die Reaktion war heftig, fast schrill - eigentlich ein Aufschrei: "Das
ist die absolute Gedächtnis-Prothese! Ein epidemischer Detektor. Das
allwissende, alles durchdringende Spionage-Programm!" Derart atemlos
beginnt der Bericht von Wired News, der im vergangenen Jahr einer
Ankündigung des amerikanischen Verteidigungsministeriums folgte. Das
Pentagon hatte ein Projekt annonciert, das dann unter dem Namen
"LifeLog" ausgeschrieben wurde. Konzipiert war diese "Lebens-Mitschrift"
als ein künstliches Gedächtnis, das erfassen und sofort indizieren
sollte, was ein Mensch, ein Soldat erlebt. Tatsächlich sämtliche
Lebensregungen aller GIs für jeden gegebenen Moment. Digitalisieren, was
sich digitalisieren lässt, lautete die Direktive. Also alles.
Denn nicht nur unmittelbare Kampf-Situationen oder Szenen aus der Etappe
sollten registriert werden. Sondern, wie es in der Projekt-Ausschreibung
fast schon lyrisierend heißt, "jeder Faden aus dem Lebensgewebe eines
jeden einzelnen Soldaten."Kategorisiert nach "Ereignissen, Zuständen,
Beziehungen."
Eine Hardware für die Uniform sollte hierzu entwickelt werden, die alle
physischen und Kontext-Daten des GI registriert und an einen zentralen
Server übermittelt. Also: Visuelle, auditive und wenn möglich haptische
Daten, die dokumentieren, was der Soldat sieht, hört und fühlt. Dazu die
Daten zu seiner Standortbestimmung, auch Ruhe-, Lage- und
Beschleunigungs-Daten seines Körpers. Selbstverständlich biomedizinische
Daten wie Blutdruck und Blutzuckerwerte. Am heftigsten umstritten war
das Ansinnen, auch alle Interaktions-Daten festzuhalten. In ihnen sollte
niedergelegt sein, welche Informationen der Soldat aufgenommen und
selber verbreitet hat. Also nicht nur, welche Fernseh- und
Radiosendungen er verfolgt, welche Email er erhalten und verfasst hat.
Sondern auch, welche Telefonate getätigt und empfangen wurden, welche
Zeitungs- und Weblektüren stattgefunden haben, welche Kalendereinträge
formuliert und welche Briefe oder Faxe versandt wurden. Ja sogar, welche
Computerprogramme und Internet-Suchmaschinen bedient wurden. Fast schon
erwartbar dann auch: welche Treffen mit wem wo stattgefunden haben.
Du hast einen Kameraden
All das sollte gesammelt und gespeichert werden, um in der Manier
kriminalistischer "Profiler" nach Regelmäßigkeiten und Mustern im
Verhalten und nach Strukturen, Beziehungen und gegenseitigen
Beeinflussungen in den angehäuften Datenbergen fahnden zu können.
Data-Mining nennt man so etwas. Aber hier sollten ja Daten in wirklich
großem Stil erhoben werden. Nicht weniger als "den ganzen Strom an
Erfahrungen einer Person und ihrer Interaktionen mit der Welt" galt es
zu erfassen. Und das, wie gesagt, für die gesamte Armee.
"LifeLog erlaubt es", so ein Sprecher der verantwortlichen
Spezial-Einheit des Pentagon, der Defense Advanced Research Projects
Agency (DARPA), "dass nicht nur Einheiten zu Felde, sondern auch ihre
Stabs-Kommandeure bessere Kampf-Strategien entwickeln können. Weil sie
Zugriff auf die Erfahrungen und damit auf die Vergangenheit haben."
Der Griff nach der Zeit - das klingt nach Big Brother und Mad Scientist
in Personal-Union. "Die Bundesbehörden", so schreibt denn auch Charles
Paul Freund in der Online-Ausgabe des Magazins reason, "scheinen mal
wieder in ihrer Allmachtsstimmung zu sein."
Zu diesem Zeitpunkt war die Idee eines elektronischen
Gedächtnis-Surrogats gar nicht mehr neu. Zuvor schon hatte die DARPA sie
im Rahmen des "Patriot Act" für den Kampf gegen den Terror an der
Heimatfront verbreitet. Im Prinzip dasselbe, wollte man hier die
Kommunikationsstränge des zivilen Amerika, sprich: aller Amerikaner,
digitalisieren, um sie dieser Sonderform des Data Mining zuzuführen.
Hier firmierte "LifeLog" unter dem mehr ins Orwellsche gehenden Titel
"T-I-A": "Total Information Awareness". Die "Totale Informationshoheit."
Oder besser: Die "Absolute Überwachung."
Mehr als 50 Millionen Dollar waren diesem Datenschürf-Doppelprojekt für
daheim und unterwegs schon in der Konzeptionsphase bewilligt worden.
Doch der Protest, der sich dagegen erhob, war groß, das Ganze ziemlich
teuer - und das Geld wurde immer knapper. So taufte man denn "T-I-A"
kurzerhand in "Terrorist Information Awareness" um und verlagerte dessen
Observations-Raum ins Ausland. "LifeLog" wollte man dem gehobenen
Diaristen noch kurzzeitig als - so wörtlich - "Stand-Alone-System"
schmackhaft machen, das nicht nur den Militärs, sondern auch den
Verfassern von Tagebüchern "jedes Ereignis ihrer eigenen Vergangenheit
in beliebiger Dichte" wieder hervorhole. Als auch das nicht verfing,
wurde es um das LifeLog-Projekt stiller.
Unter anderem wohl auch deswegen, weil relevante Informationen in jedem
wie auch immer realisierten LifeLog in einem "unüberschaubaren Geröll
von Daten", einem "Haufen von Lebensmüll" (C. P. Freund) verborgen
blieben. Zudem stellt sich selbst Computerspezialisten die schier
unbeantwortbare Frage, wie man auf elektronischem Weg überhaupt "Daten"
aus jenen unstrukturierten Abläufen herausfiltern soll, die man das
Leben nennt. Also jene abgrenzbaren Abschnitte, die man als ein
Ereignis, eine Ursache, eine Wirkung begreift. Doch mit den Ideen des
Militärs ist es wie mit alten Soldaten: Sie sterben nicht.
So nimmt es nicht wunder, dass Wired vor kurzem erneut vermelden musste:
"Das Pentagon erweckt das Gedächtnis-Projekt zu neuem Leben." Doch wurde
das abgehalfterte "LifeLog" in dem Update mit einem neuen, noch
anschmiegsameren Namen versehen: "ASSIST" - "Advanced Soldier Sensor
Information System and Technology."
Das angetretene Erbe ist dem ASSIST-Programm anzusehen. Immerhin ist es
jetzt auf reine Gefechtsfeldbelange fokussiert. Man will gewissermaßen
nur noch herausfinden, was der Kriegstag mit sich bringt. Das aber nicht
weniger gründlich. "Die Konfusion auf dem Kampfplatz", so die
Erläuterung zu dem Programm, "sowie der physische und psychische
Stress", dem ein Kämpfer ausgesetzt ist, mache es für ihn schwierig,
"alle relevanten Aspekte einer Situation zu übermitteln." Texte seien
hierfür wenig hilfreich. Außerdem habe sich der Ort des Geschehens in
der Regel vom offenen Feld in komplexere urbane Häuserkampf- und
Straßenschlacht-Szenarien verlagert.
Darum sei die "Ausstattung des Soldaten mit einem System von tragbaren,
unverwüstlichen Sensoren" das Gebot der Stunde. Gedacht ist ASSIST dann
als ein zweistufiges System, das zum einen sämtliche Lebensimpulse und
Wahrnehmungen seines Trägers übermitteln soll. Zum anderen soll es als
ein von seinem Träger unabhängiger Automatismus eine eigene Situations-
und Datenanalyse betreiben. Es soll eigenständig und lernfähig sein,
soll selber Objekte klassifizieren und Freund-Feind-Muster erkennen. Man
erwartet von ihm, dass es Wissen aufbaut und Erfahrung sammelt. Dass es
also reift. Unabhängig von seinem Transport-Wirt, dem Soldaten.
Als hilfreich wird es sich daher erweisen, dass dieses ASSIST-System
über eine "embedded explanation capability", über eine eingebaute
Selbsterklärungs-Routine verfügen muss. Damit es darüber Rechenschaft
ablegen kann, "warum sich das System im Kampf so und nicht anders
entschieden und verhalten hat." Und der Soldat? Der gehorcht. Er trägt
seinen elektronischen Kameraden. Und lauscht - den detailliertesten
Ausführungen, die jemals über das Landser-Leben gemacht wurden.
BERND GRAFF
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