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[infowar.de] 9/11 - 100 Jahre spaeter: James Der Derians Dokumentation über Medien und Krieg im Zeitalter des "Info-Terrors"
Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
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Ein netter TP-Bericht über unsere FoG:IS-Veranstaltung letzte Woche in /
mit der Heinrich Böll Stiftung. :-)
War eigentlich jemand bei http://www.banal-militarism.de?
Würde mich interessieren, wie es da so war.
RB
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/kino/18614/1.html
9/11 - 100 Jahre später
Krystian Woznicki 21.10.2004
James Der Derians Dokumentation über Medien und Krieg im Zeitalter des
"Info-Terrors"
Der 11. September 2001 hat nicht nur den weltweiten "War on Terror"
ausgelöst, sondern auch die globale Informationssphäre nachhaltig
verändert. James Der Derian [1] hat darüber einen Film gemacht, den
der Wissenschaftler auf Einladung der Heinrich Böll Stiftung [2] und
der Forschungsgruppe Informationsgesellschaft und
Sicherheitspolitik [3] in Berlin vorgestellt hat.
2001 wird als ein Jahr in Erinnerung bleiben, in dem Science Fiction
Realität geworden ist. Wie in Zukunftsthrillern aus dem Polizeigenre
verwandelten sich die Straßen von Genua in ein Hightech-Schlachtfeld:
Panzer, bewaffnete Spezialtrupps und sündhaft teure
Fortifikationsarchitektur machten die ligurische Metropole zu einem
Käfig, in dem Tausende von Demonstranten wie Versuchskaninchen hin- und
hergescheucht worden sind. Bilder wie aus einem Film, den Cronenberg
hätte gemacht haben können.
Zwei Monate später flogen Passagierflugzeuge in das World Trade Center
und verwandelten die gebauten Ikonen des globalen Kapitals in einen
infernalischen Kriegsschauplatz. Vor fassungslosen Passanten und
Millionen von Fernsehzuschauern auf der ganzen Welt, die ihren Augen
nicht trauen konnten, stürzten die Türme nacheinander ein. Sie begruben
zahllose Menschen unter sich - und begruben auch das Science
Fiction-Genre. Die Wirklichkeit hatte dystopische Zukunftsvorstellungen
ein für alle mal überholt.
In den darauf folgenden Wochen wurde mit dem Krieg gegen den Terror die
Propaganda-Maschine angeworfen. Nachrichten, Meldungen, Schlagzeilen,
Bilder, kurz: Informationen, die im Dienste des neuen Kreuzzuges
standen, begannen Menschen einzuwickeln -sprichwörtlich von Kopf bis
Fuß [4]. James Der Derian, Leiter des "Information Technology, War, and
Peace Project" an der Brown University, hat mit seinem Forschungsteam
einen Film über dieses mediale Rundumereignis gemacht. Das Ergebnis ist
mehr als eine Dokumentation des Informationskrieges, der von der
US-Regierung und von den US-Medien geführt wird. Die Bilder aus den
Prime Time Networks, wie CNN und Fox News, aber auch Aufnahmen aus
militärischen Datenbanken sowie Bilder von Symposien und Interviews mit
Intellektuellen, Militärs oder Wissenschaftlern dienen dazu, eine
Gegen-Simulation zu konstruieren. Eine Art Gegen-Wirklichkeit zur
Erzählung des Medien-Mainstreams.
Der Derian [5] glaubt, dies sei der beste Weg, um Kritik zu üben.
Feuer könne man nur mit Feuer bekämpfen. Dem Informationskrieg pflegt
er Infofrieden (im Web ist er unter Infopeace [6] zu finden) entgegen
zu stellen. Der Film steht in diesem Sinne in einer Reihe mit
zahlreichen anderen medialen Aktionen im Rahmen seines Projekts, die
Der Derian allesamt als Info-Interventionen verstanden wissen will -
Interventionen im "militärisch-industriellen
Medien-Entertainment-Netzwerk" (MIME-NET), das seiner Ansicht nach den
alten "militärisch-industriellen Komplex" des Industriezeitalters
abgelöst hat.
Der einstündige Film vollzieht den Aufbruch eines Zeitalters des
"Info-Terrors" vom 11.9.2001 bis zum Krieg im Irak nach. Die meisten
Bilder sind bereits bekannt. Das Entscheidende ist wohl, wie sie
präsentiert werden. Sie kommen grobkörnig daher, sind verzerrt und
wackeln. Teilweise scheinen sie aus dem Internet heruntergeladen worden
zu sein, weil sie so behäbig und unbeholfen wirken, als müssten sie
erst noch laufen lernen. In den seltensten Fällen korrespondieren Ton-
und Bild-Kanal in einem 1:1 Verhältnis miteinander. Was mittlerweile
zum klassischen Repertoire des Dokumentarfilms avanciert ist, steht
hier im Dienste eines Verfremdungseffekts.
Interview-Stimmen werden mit Bildern von Fernsehmitschnitten
überlagert, Politiker-Reden, etwa die von Präsident Bush, scheinen
vertauscht worden zu sein. Bushs Lippenbewegungen entsprechen
jedenfalls nicht den gesprochenen Worten, die zu Gehör gebracht werden.
Vor allem diese Sequenzen des US-Präsidenten erzielen eine nachhaltige
Wirkung. Manchmal ist sein Auftritt überlagert von arabischen
Schriftzeichen, fast immer schwebt im Hintergrund ein breitgefächerter
Klangteppich. Weiche elektronische Sounds, ein wenig schwerfällig,
melancholisch. Zwischendurch immer auch elektronische Schnipsel, die
wie das digitale Prickeln von Mineralwasser einen präzisen Kontrast zu
den sich teils auflösenden, teils verschwimmenden Bildern darstellen.
Man könnte sagen, dass hier die Low-Tech-Ästhetik aus den
aktivistischen Medienbewegungen reaktiviert wird: Do it yourself-Spirit
in Zeiten des Informationskrieges gegen den Terror. Doch was der Film
reaktiviert ist in erster Linie etwas anderes. Im besagten Wechselspiel
von Bild und Ton entfaltet er Film eine anachronistische Qualität. Die
Bilder wirken, wie aus einem Archiv geborgen. So als würde man heute
Tonträger aus den ersten Stunden der Langspielplatte wieder auflegen,
scheint es als hätte man 100 Jahre später versucht die Bilder von der
unmittelbaren Zeit nach dem 11. September zu restaurieren. Ihre "webby
quality", wie sie Der Derian während seiner Präsentation umschrieb,
erzeugt den Eindruck, als hätten einige Archäologen in der fernen
Zukunft an ihren digitalen Schnittstellen gesessen und per Mausklick
versucht, die Vergangenheit noch mal zum Sprechen zu bringen.
Es ist sehr zu empfehlen diesen Film mehr als einmal zu sehen. Denn wer
sich auf die Perspektive, die er nahe legt einlässt, kann die
zahlreichen Experten-Meinungen in einem neuen Licht sehen. Schließlich
scheinen die heutigen Reflektionen von kritischen Geistern in den
meisten Fällen in der Informationssphäre des Krieges gegen den Terror
unterzugehen. Der Derian, der in seinem Film einige scharfsinnige
Beobachter zu Wort kommen lässt, ermöglicht dem Betrachter, einen
Abstand zu dieser immersiven Informationssphäre einzunehmen, und setzt
damit die intellektuellen Glanzlichter unserer Zeit frei.
Wenn man beispielsweise Mary Kaldor während einer Diskussion so reden
hört, jene Wissenschaftlerin also, die mit "New & Old Wars" Ende der
letzten Dekade ein Standardwerk schrieb, wird man doch sehr
nachdenklich. Kaldors Ausführungen, die sie diszipliniert, zugleich
jedoch auch fassungslos mit ihrem ganzen Körper zu artikulieren
scheint, über die Missgriffe der Bush-Administration, über die falschen
Einschätzungen des Terrors und die verschenkten Chancen des Individuums
auf all das zu reagieren, lassen die Jahre nach dem 11.September als
eine besonders denkwürdige Phase in der Geschichte der Menschheit
erscheinen. Etwas, das man auf sich einwirken lassen sollte.
Links
[1] http://www.watsoninstitute.org/contacts_detail.cfm?id=24
[2] http://www.boell.de
[3] http://www.fogis.de
[4] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/med/16239/1.html
[5] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/14116/1.html
[6] http://www.infopeace.org/
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