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[infowar.de] Newsweek und Guantanamo
... haben ja eine heftige Debatte unter Journalisten ausgelöst. Auf jo!net
wurde schon spekuliert, ob da jemand aus der US-Regierung das Blatt
gezielt abschießen wolle. Ts ts ts. Hier also wegen der Chronistenpflicht
etwas aus TP zum Thema.
Skeptisch sehe ich folgenden Satz: "...dass die Journalisten entgegen der
Vorwürfe aus dem Pentagon ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind, nur
die anonyme Quelle zeigte sich nicht mehr sicher". Eher ein Hinweis
darauf, dass man sowas eben aus einer zweiten Quelle belegen können muss,
bevor man es bringt. Eigentlich normales Handwerkszeug.
RB
http://www.telepolis.de/r4/artikel/20/20108/1.html
Das Guantanamo-Virus
Thomas Pany 17.05.2005
Ein Artikel von Newsweek entfachte anti-amerikanische Proteste in der
muslimischen Welt und politischen Druck auf das Magazin
Einen Mann, eine Frau und eine Pistole. Mehr bräuchte man nicht, um einen
spannenden Film zu machen, sagte einst Jean-Luc Godard, der legendäre
französische Regisseur der "Nouvelle Vague". Für ein großes politisches
Schlamassel-Drama in der echten Welt braucht man im 21.Jahrhundert:
Amerikaner, Moslems und eine Nachricht aus Guantanamo Bay.
Zwischenergebnis (1) bislang: 17 Tote und über Hundert Verletzte. Und noch
ist der Schlussvorhang nicht gefallen.
Es war nicht gerade der exemplarische leise Schlag eines
Schmetterlingsflügels, der das Chaos auslöste, aber auch kein
journalistischer Reißer, keine Pistolengeschichte auf der Titelseite, kein
laut aufgemachter Scoop. Nein, in der Newsweek-Ausgabe vom 9.Mai war unter
der Rubrik "Periscope" ein kurzer Bericht (2) der beiden Reporter Michael
Isikoff und John Barry zu lesen, der sich mit neueren Untersuchungen zum
Gefangenen-Missbrauch bei Verhören in Guantanamo Bay (vgl. Die
systematisch betriebene Folter (3)) befasste.
Isikoff und Barry waren Vorwürfen auf der Spur, die in internen FBI-Mails
zu lesen waren, die im letzten Jahr öffentlich wurden und von bislang
unbekannten Verhörpraktiken in Guantanamo berichteten: Von ungeheuerlichen
sexuellen Erniedrigungen soll darin die Rede sein und davon, dass man, um
Verdächtige "durcheinander zu bringen", den Koran in eine Toilette
geworfen und hinuntergespült hätte.
Eine hochrangige, aber anonyme Quelle mit Zugang zur
Untersuchungskommission wurde von Isikoff auf den Wahrheitsgehalt dieser
Vorfälle hin befragt. Der Mann gab an, es sei zu erwarten, dass die
Vorfälle im nächsten Bericht des U.S. Southern Command in Miami (zuständig
für Guantanamo) auftauchen würden. Ein deutlicher Hinweis dafür, dass die
Vorwürfe von obersten Stellen ernst genommen wurden und vieles dafür
spricht, dass sie so geschehen sind. Nun gibt es viele Meldungen über
Gefangenenmissbrauch in Guantanamo; man würde täglich fündig, wenn man
danach suchte. Große Publikumsaufmerksamkeit finden solche Meldungen aber
eigentlich kaum mehr, der Horror stumpft ab. In diesem Fall aber wuchs
sich die Meldung zu einem PR-Super-GAU für die USA aus.
Die Lawine, so Newsweek in einer aktuellen Bestandsaufnahme (4) des
Skandals, brach am 6. Mai in Pakistan los. Dort hielt Imran Khan, der
seine glorreiche Vergangenheit als weltbester Cricketspieler, sein
Charisma und seine Popularität derzeit in politische Erfolge gegen den
pakistanischen Präsidenten Muscharraf umzumünzen versucht, eine
Pressekonferenz, in der er aus dem eben genannten Newsweek-Bericht vorlas.
Die Amerikaner würden bei ihren Verhören Koran-Ausgaben auf
Toilettenschüsseln platzieren, einmal habe man sogar einen Koran die
Toilette hinuntergespült, verkündete Khan den entrüsteten Zuhörern mit dem
frischen Newsweek-Bericht in der Hand: "Das also machen die USA. Sie
entheiligen den Koran!", wird Imran Khan zitiert (5).
Khans Bemerkungen wurden wie andere entrüstete Kommentare von muslimischen
Geistlichen und pakistanischen Regierungsvertretern über Radio, das auch
im benachbarten Afghanistan gehört wird, weiter verbreitet, und dann
folgten die Ereignisse Schlag auf Schlag: Unruhen im afghanischen
Dschalalabad am Dienstag und Mittwoch letzter Woche, dabei wurde das
pakistanische Konsulat angegriffen (6) und UN-Gebäude attackiert. Am
Dienstag protestierten 2000 Studenten gegen die USA, am Mittwoch sind es
bereits 5.000 bis 10.000 (7). Die Polizei kann den Aufruhr nicht
kontrollieren - mindestens vier Tote meldet (8) der Guardian am
Donnerstag. Das ist erst der Anfang.
Am Donnerstag protestieren (9) mehrere Hundert in verschiedenen
pakistanischen Städten, über 1000 in der Grenzstadt Quetta, darunter viele
Studenten aus religiösen Schulen, einige Hundert in Lahore und in
Peschawar. Am 13.Mai berichtet (10) die New York Times, dass sich die
Demonstrationen in Afghanistan auf zehn der 34 Provinzen ausgedehnt haben.
Am selben Tag wird auch von Hunderten von Demonstranten in Dschakarta,
Indonesien, berichtet (11). Am Samstag verzeichnet (12) man bereits 16
Afghanen, die bei Demonstrationen getötet wurden. Auch im Gazastreifen
demonstriert man gegen die Entehrung des heiligen Buches. Am Sonntag haben
sich jemenitische Studenten den Protesten angeschlossen. Erwartungsgemäß
dann die Reaktionen von namhaften muslimischen Geistlichen, die mit dem
Dschihad drohen (13).
Während sich amerikanische Militärs noch Gedanken machten, welche Kräfte
(14) hinter der Eskalation der Demonstrationen in Afghanistan stecken
könnten, blieb die amerikanische Regierung gegenüber den Vorwürfen in der
letzten Woche bemerkenswert ruhig; nur aus Militärkreisen gab es das
übliche Dementi, wonach die Koran-Story nicht wahr sei. General Richard
Myers ließ verlauten, dass keine der Anschuldigungen bislang bewiesen sei.
Am Wochenende ging das Pentagon dann in die Offensive: Ein Sprecher des
Verteidigungsministeriums bezeichnete den Newsweek-Bericht als
"demonstrably false" (15). Schon am Freitagabend hatte der
Pentagonsprecher DiRita bei Newsweek angerufen, um sich zu beschweren, die
mit der Untersuchung beauftragten Männer hätten keinen Beweis für die
Entehrung des Korans gefunden. Das Magazin veröffentlicht eine
Entschuldigung:
--We regret that we got any part of our story wrong, and extend our
sympathies to victims of the violence and to the U.S. soldiers caught in
its midst.--
So der Chefredakteur Mark Whitaker in einem Editorial (16). Doch bei
genauem Lesen der beigefügten Hintergrundgeschichte (17) zum Skandal zeigt
sich, dass die Journalisten entgegen der Vorwürfe aus dem Pentagon ihrer
Sorgfaltspflicht nachgekommen sind, nur die anonyme Quelle zeigte sich
nicht mehr sicher - allerdings nicht bezüglich der Anschuldigungen der
"Koran-Schändung", sondern ob diese in dem erwarteten SouthCom-Bericht
aufgeführt seien:
--The senior government official, who said that he clearly recalled
reading investigative reports about mishandling the Qur'an, including a
toilet incident. But the official, still speaking anonymously, could no
longer be sure that these concerns had surfaced in the SouthCom report.--
Für Kritiker der amerikanischen Regierung ist eindeutig, dass das Pentagon
Druck auf Newsweek ausübt, um von großen Problemen in Afghanistan und
anderen muslimischen Ländern abzulenken. Zum einen listet DailyKos (18)
eine Reihe von Berichten auf, die schon sehr viel früher über
Verhörmethoden, in denen der Koran entheiligt wurde, informiert (19)
haben, u.a. auch ein Human Watch Report. Zum anderen weist ein Bericht der
Asia Times, der sich letzte Woche mit den ungewöhnlich heftigen Unruhen in
Afghanistan befasste (20), darauf hin, dass eine islamistische Gruppe
namens Hisbut Tehrir sich die Aufregung über den Koran-Missbrauch zunutze
machte, um mit gut organisierten Demonstrationen deutlich zu machen, wer
in Afghanistan die Nachfolge der Taliban und Al-Qaida angetreten hat.
Die allgemeine Entschuldigung von Newsweek aber reicht dem Weißen Haus
nicht, das dadurch - und vermutlich unerwartet - in schwere Nöte geraten
ist. Scott McClellan, der Sprecher des Weißen Hauses, machte denn auch
Newsweek verantwortlich, Guantanamo selbst, der primäre Stein Anstoßes,
soll aber natürlich keine Rolle spielen:
--A retraction is a good first step. This allegation was unsubstantiated
and it was contrary to everything that we value and all that our military
works to uphold. We encourage Newsweek to now work diligently to help undo
what damage can be undone. People lost their lives. the image of the
United States abroad has been damaged. It will take work to undo what can
be undone.--
Tatsächlich scheint (21) man in der muslimischen Welt von dem Rückzieher
nicht sonderlich überzeugt (22) zu sein, zumal das Image der USA nicht
erst durch diesen vergleichsweisen harmlosen Vorfall beschädigt wurde.
LINKS
(1) http://www.guardian.co.uk/usa/story/0,12271,1484868,00.html
(2) http://www.msnbc.msn.com/id/7693014/site/newsweek/
(3) http://www.telepolis.de/r4/artikel/19/19105/1.html
(4) http://msnbc.msn.com/id/7857407/site/newsweek/
(5) http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/1111381.cms
(6) http://www.dawn.com/2005/05/12/top5.htm
(7) http://www.juancole.com/2005/05/american-blasphemy-against-koran.html
(8) http://www.guardian.co.uk/afghanistan/story/0,1284,1481929,00.html
(9) http://www.abc.net.au/news/newsitems/200505/s1367793.htm
(10)
http://www.nytimes.com/2005/05/13/international/asia/13afghan.html?pagewanted=1&oref=login
(11) http://www.hindustantimes.com/news/181_1360328,0005.htm
(12) http://abcnews.go.com/US/wireStory?id=756822
(13) http://egyptelection.com/modules.php?name=News&file=article&sid=968
(14)
http://www.nytimes.com/2005/05/13/international/asia/13afghan.html?pagewanted=1&oref=login
(15) http://www.guardian.co.uk/usa/story/0,12271,1485122,00.html
(16) http://msnbc.msn.com/id/7857154/site/newsweek/
(17) http://msnbc.msn.com/id/7857407/site/newsweek/
(18) http://www.dailykos.com/story/2005/5/15/19221/4742
(19) http://www.dailykos.com/story/2005/5/15/211444/985
(20) http://www.atimes.com/atimes/Central_Asia/GE12Ag02.html
(21)
http://www.sfgate.com/cgi-bin/article.cgi?f=/news/archive/2005/05/16/international/i133304D98.DTL
(22) http://www.alertnet.org/thenews/newsdesk/N16479546.htm
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