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[infowar.de] TP: Das virtuelle Afghanistan der Terroristen
http://www.telepolis.de/r4/artikel/20/20640/1.html
Das virtuelle Afghanistan der Terroristen
Florian Rötzer 01.08.2005
Der britische Geheimdienst soll nun vermehrt gegen Websites vorgehen, um
sie vom Netz zu nehmen
Das Internet gilt angeblich manchen al-Qaida-Anhängern als ein neues, wenn
auch "virtuelles Afghanistan", also als wichtiger Knotenpunkt zur
Anwerbung, Ausbildung und Organisation des Terrornetzwerkes. Nicht
verlegen sind manche Experten, wenn es um die Ausmalung der Bedrohung
geht, die mit dem von Terrornetzwerken benutzten Internet ausgehen soll.
Und weil das Internet die "neueste Front im Kampf gegen Terror" sei, wie
die britische Sun meldet, hätten nach den Anschlägen in London der
britische Geheimdienst MI5 mit "patriotischen Hackern" zusammen getan, um
die Websites von al-Qaida und Co. zu schließen.
Trotz der Festnahme der mutmaßlichen Täter vom 21. Juli und anderer
Verdächtiger hat die britische Polizei offenbar noch keine große Kenntnis
vom Hintergrund. Bislang gibt es noch keine Bestätigung, dass die beiden
Gruppen vom 7.7. und vom 21.7. miteinander und mit al-Qaida oder gar Bin
Laden verbunden waren. Die Spur zu dem in Sambia festgenommenen Haroon
Rashid Aswat, der zuerst als "Mastermind" verkauft wurde, scheint nicht
sehr heiß zu sein. Der von beiden Gruppen verwendete Sprengstoff ist
nichts ungewöhnliches und die Herstellungsanleitungen von Bomben diesen
Typs können überall aus dem Internet oder aus anderen Quellen bezogen
werden. Wenn direkte Verbindungen über Personen fehlen, könnte, so die
Vermutung, die Kommunikation der lokalen Terrornetzwerke über das Internet
stattfinden. Möglicherweise ist der Begriff Kommunikation schon zu hoch
gegriffen, wenn hier lediglich memetisch Informationen zirkulieren, die
eine Ideologie und Handlungsanweisungen verbreiten und ansteckend wirken
und so eine virtuelle "Gemeinschaft" herstellen.
Das ist nicht nur in Großbritannien Thema. Man ist auch in Deutschland
rührig. So verkündet (1) beispielsweise nach entsprechenden Berichten der
britischen Times oder der Sun die deutsche Firma PAN AMP (2), die
Sicherheitstechniken wie Filter oder Firewalls für das Internet anbietet,
dass al-Qaida - man scheint noch immer von einem harten Kern auszugehen,
der alles steuert - nun nicht mehr direkt neue Rekruten ausbildet und
anweist oder diese in Moscheen rekrutiert.
--Jetzt wird das Internet von Al-Quaida auch als Cyber-Mekka zur
Rekrutierung neuer Märtyrer genutzt. Gespickt mit Terroranleitungen,
Dschihad-Predigten der Untergrund-Imame, Filme über Terroranschläge im
Irak, Anleitungen für den Bau von Raketen, Sprenggürteln und Anleitungen
zur Herstellung von Sprengstoff bilden eine höchst explosive
Gefahrenlage.-- Bert Weingarten, Vorstand der PAN AMP AG
Das ist zwar keine sonderlich neue Erkenntnis der "Internetexperten", die
allerdings auch die Zeitung der Info-Elite praktisch wortwörtlich
übernimmt (3), zumal Anleitungen zum Bau von Bomben keineswegs nur von
Islamisten oder al-Qaida im Web verbreitet werden. Besonders hervorgehoben
wird, dass al-Qaida-Angehörige Websites betreiben würden, deren Zugang
passwortgeschützt sei, weswegen dann auch die Geheimdienste angeblich
außen vor blieben. Das gibt Anlass, ein wenig Werbung für die eigenen
Dienste zu machen:
--Aufgrund von Einsparungen stehen dringend notwendige Technologien zur
Auffindung nicht zur Verfügung. Weiter fehlt es massiv an staatlichen
Internet-Fahndern die die unzähligen arabischen Mundarten verstehen und
die angewandten Sprachen und Schriftzeichen lesen können. Kurz, das
erschreckende Potential der neuen Terror-Schule Internet ist noch längst
nicht erkannt. --
Dann wird gewarnt, dass Terroranschlägen auch in den deutschsprachigen
Ländern geplant würden, doch sei hier die Veröffentlichung "dieser
Terroranleitungen" noch nicht verboten. Zwar wird in Bezug auf Deutschland
auch auf den § 130 hingewiesen, aber man unterstellt, dass es keine
Handhabe und keinen Willen gebe, etwa Anleitungen zum Bauen von Bomben vom
Netz zu nehmen. Angeblich habe man im März über 32.000 Anleitungen von
Bombenbauanleitungen in deutscher Sprache im Netz gefunden. "Bei Teenagern
ist es "cool" Bombenbauanleitungen auf der eigenen Homepage zu
positionieren, Professoren beteiligen sich im Internet an der Verbesserung
von Sprengstoffen und ein Chemiestudent versendet selbst hergestellten
Sprengstoff an jedermann", schrieb Weingarten schon damals und bot
dagegen die "Sperr-Filter" seiner Firma an. Auch jetzt malt er wieder
Katastrophisches an die Wand:
--Der Bundesinnenminister, Herr Otto Schily, ist im Urlaub und seine
Ermittlungsbehörden, welche dringlichst ermitteln müssen, um die Angebote
auf Deutschen Servern abzuschalten, sehen im Artikel 130a keine Grundlage,
um mit der Abschaltung von Terror- und Bombenbauanleitungen zu beginnen.
Die Innere Sicherhe
itinDeutschlandistunterdiesenBedingungennichtmehrgewährleistet,soWeingartenabschließend.--
In Deutschland ist die Veröffentlichung einer solchen Anleitung strafbar,
wenn sie auch mit einer Aufforderung zum Einsatz einhergeht. Die
Publikation von Bauanleitungen für Molotow-Cocktails ist jedoch immer
strafbar, weil dies einen grundsätzlichen Verstoß gegen das Waffengesetz
darstellt, so ist in Netzkritik zu lesen (4), wo man Informationen vom BKA
erfragt hat. Ähnlich wie der britische Innenminister macht sich etwa auch
der sicherheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Wolfgang Bosbach
anheischig, dass schon der Besitz von Bombenbauanleitungen durch das
Herunterladen aus dem Internet oder vielleicht schon das Lesen selbst
strafbar sein sollen.
Hackers fight terrorists
Nicht weniger Spektakuläres weiß die britische Sun zu berichten (5). So
soll "al-Qaidas Meisterhacker" von London aus operieren und hier den
zentralen Kommunikationsknoten betreiben. Auch die Sun hat einen
Experten, der ein Buch über die Internetverwendung der Terroristen
geschrieben hat und der sagt, dass der britische Geheimdienst MI5 seit dem
7.7. nicht mehr nur die islamistischen Websites überwacht, sondern auch
versucht, sie vom Netz zu nehmen. So seien seitdem auch einige Seiten
verschwunden. Hier würden dann eben die "patriotischen Hacker" ins Spiel
kommen, die machen können, was die offiziellen Sicherheitskräfte nicht so
ohne weiteres dürfen. Ansonsten weiß der Experte, dass al-Qaida die
Verwendung des Internet eingeführt habe und viele Computerspezialisten
habe, die zahlreiche Methoden einsetzen, um zu verbergen, wo sie sich
befinden. Aufgrund von Fehlern, die geschehen sind, habe man aber die
Vermutung, dass der "Meisterhacker" von al-Qaida in London sitzt.
Der Experte meint, dass der britische Geheimdienst zuvor die Websites
überwacht und Informationen herausgeholt habe, aber jetzt zu einer neuen
offensiven Strategie übergegangen sei. Gemeinsam mit "zivilen Hackern"
würden sie nun so etwas wie einen "Anti-Dschihad" betreiben. "Die Rolle
von patriotischen Hackern", so munkelt die Sun, "beim Schließen von
extremistischen Websites wird durch große Geheimhaltung im Dunklen
gehalten." Wenn eine Website schnell aus dem Netz verschwindet, dann sei
dies eine Folge der Arbeit von Hackern. Behörden oder Provider seien hier
viel langsamer, weil, so wird nebenbei erwähnt, zu einer Schließung einer
Website ein "klarer Gesetzesverstoß" notwendig ist. Das nehmen die
"patriotischen Hacker" offenbar nicht so genau.
Allerdings muss der Experte einräumen, dass dann, wenn eine Website von
einem Provider vom Netz genommen wird, gleich ob das aufgrund von Druck
oder tatsächlicher Verletzung von Gesetzen geschieht, dieselben Seiten
schnell woanders wieder auftauchen können. Bislang sei Großbritannien ein
Land gewesen, in dem viele Provider "verbrecherische Websites" gehostet
hätten, aber in den USA gäbe es die meisten solcher Websites. Von den
Inhalten erfährt man allerdings nichts Genaueres, man könnte freilich mit
nach Hause nehmen, dass die Gesetze zu streng sind und die
Sicherheitskräfte binden, weswegen eben die "patriotischen Hacker" dann
stellvertretend die Websites abschießen dürfen, auch wenn damit die
Verfassung und die Meinungsfreiheit verletzt werden. Tatsächlich sehen
selbsternannte anti-islamistische Online-Wächter darin kein so großes Problem.
Nach der britischen Times (6) hätten israelische Geheimdienstagenten
ebenfalls festgestellt, dass seit dem 7.7. vermehrt islamistische Websites
aus dem Netz verschwinden würden und dies das Werk des britischen
Geheimdienstes sei. Die Times fügt der Bedrohung durch das Internet noch
eine Nuance hinzu. Trotz aller Lokalisierungsmöglichkeiten von
Handy-Gesprächen und dem Herausfiltern von Begriffen durch globale
Überwachungssysteme wie Echelon würden die neuen Kommunikations- und
Informationstechnologien den Terroristen einen Vorteil gewähren.
Auch dafür wird, wie man das in Medien heutzutage so macht, ein "Experte"
aufgeboten, in diesem Fall ist es Professor Michael Clarke vom King's
College London und Direktor des International Policy Institute, der sagt,
dass "die modernen Technologien die meisten Vorteile den Terroristen in
die Hände legen" würden. Überwachungssysteme wie Echelon hätten hingegen,
wie er wohl zu Recht behauptet, zwar große Datenmengen durchforstet, aber
weder Terroranschläge verhindern oder vor ihnen warnen können. Als perfide
Strategie wird angeführt, dass "niedrige" Mitglieder ein
"Hintergrundgeraune" veranstalten können, das die Ressourcen beanspruche
und gleichzeitig die Angst wach halte. Der Experte weist allerdings auch
darauf hin, dass "ironischerweise" die meisten genauen
Herstellungsanleitungen für Bomben auf Websites von militanten Rechten in
den USA zu finden sind.
Das Opfer des islamistischen Extremismus war bereits in Taliban-Zeiten das
liberale urbane Leben und die freien Medien. Auch die Benutzung des
Internet hatten die Taliban verboten (gleichzeitig wurde es von bin Ladens
al-Qaida natürlich benutzt). Die Angriffe auf die Städte führen dazu, dass
die Islamisten dank der Reaktion der Sicherheitspolitiker und der Angst
der Menschen eines der wichtigsten Ingredienzen der urbanen Kultur, die
Anonymität in der Masse, zum Verschwinden bringen.
Die zunehmende Überwachung ist das westliche Pendant zur islamistischen
Religionspolizei, die auch das alltägliche Verhalten kontrolliert. Und
vermutlich werden die Terroristen dank der Kollaboration der
Sicherheitspolitiker, die auf die auch von Medien geschürte Angst der
Menschen setzen, es bald erreichen, dass das Internet, die virtuelle
Weiterentwicklung der urbanen Kultur, seiner Potenziale beraubt wird.
Schließlich können hier nicht nur Terroristen und Kriminelle ihre Pläne
aushecken und sich organisieren, sondern über das Internet lassen sich von
unten und unzensiert Informationen verbreiten, die zu einer demokratischen
Neustrukturierung der Gesellschaften und zu einem allmählichen Zerfall von
autoritären Systemen führen können. Zu diesen gehören viele der arabischen
Staaten mitsamt der in die Vergangenheit gerichteten islamistischen
"Befreiungsbewegungen", die mit der Religion Zwang ausüben, Herrschaft
zementieren, beispielsweise die der Männer über die Frauen, und
Lebensstile durchsetzen wollen. Knebeln auch die westlichen Staaten das
Internet immer mehr, so ginge ein wesentliches Instrument der Aufklärung,
der Demokratisierung und der Freiheit verloren.
LINKS
(1) http://www.presseportal.de/story.htx?nr=707047
(2) http://www.panamp.de/
(3) http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=17362
(4) http://www.netzkritik.de/art/315.shtml
(5) http://www.thesun.co.uk/article/0,,2004600000-2005330747,,00.html
(6) http://www.timesonline.co.uk/article/0,,2087-1715166,00.html
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