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[infowar.de] Schildbürgerstreich rund um das Atomkraftwerk Grohnde



Schönes Beispiel für die Kurzsichtgkeit vieler Versuche zum Schutz kritischer Infrastrukturen. :-)
RB


http://www.heise.de/newsticker/meldung/64016

16.09.2005 22:24

Schildbürgerstreich rund um das Atomkraftwerk Grohnde

Das Atomkraftwerk Grohnde in Niedersachsen soll künftig durch Störung
von GPS-Signalen vor Terrorangriffen aus der Luft geschützt werden.

Nach einem Bericht der Hannoverschen Allgemeinen
Zeitung (HAZ) vom heutigen Freitag will das Bundesumweltministerium[1]
Atomkraftwerke künftig durch eine Störung von GPS-Signalen (Global
Positioning System) in der Nähe der Reaktoren schützen. So genannte
GPS-Jammer sollen verhindern, dass mit satellitengestützten
Navigationssystemen ausgestattete Verkehrsflugzeuge gezielt über einem
AKW zum Absturz gebracht werden. Dies ergebe sich aus einer
vertraulichen Abmachung, deren Ergebnisse der Zeitung vorliegen,
schreibt die HAZ[2].

Hintergrund der Pläne ist ein schwelender Streit zwischen mehreren
Bundesländern, der Stromwirtschaft und dem Bundesamt für
Strahlenschutz. Das BfS[3] hatte gefordert, fünf ältere AKWs
stillzulegen, weil die Anlagen nicht ausreichend gegen den Absturz von
Verkehrsflugzeugen geschützt seien. Schon seit den verheerenden
Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington verhandeln
Bund, Länder und Wirtschaft verstärkt über Maßnahmen, wie deutsche
Atomkraftwerke in Zukunft besser vor Terrorangriffen aus der Luft
geschützt werden können.

Im Gespräch war zunächst die so genannte Vernebelungstaktik: Bei einem
drohenden Angriff aus der Luft sollten die Atomkraftwerke blitzartig in
künstlichen Nebel gehüllt werden, damit potenzielle Selbstmord-Piloten
die kritischen Teile des Reaktors entweder gar nicht oder zumindest
nicht zielgenau treffen können. Diese Pläne hielt das
Bundesumweltministerium jedoch für unzureichend und forderte die
Stromkonzerne als Kraftwerksbetreiber zu Nachbesserungen auf --
schließlich könne man ja in den Autopiloten einer jeden
Verkehrsmaschine die geografische Position des Kraftwerks eingeben und
dann das Ziel auch ohne Sicht über GPS-Signale ansteuern lassen.

Daraufhin müssen sich zumindest einige der Sicherheitsexperten wohl an
die Zeit vor Mai 2000 erinnert haben: Bis dahin hatte das US-Militär
die für zivile Zwecke bestimmten GPS-Signale durch die so genannte
"Selective Availability" (S/A) verzerrt. Wichtige
Navigationsinformationen der Satelliten wie Ephemeriden (Laufbahnen der
Satelliten) und Uhrzeiten wurden vorsätzlich unregelmäßigen
Schwankungen unterworfen, weshalb selbst mit hochwertigen Messgeräten
eine Standortbestimmung bestenfalls bis auf etwa 50 Meter Radius
möglich war.

Als Ergebnis dürfte nun folgendes Bild in den Köpfen der
Kraftwerksschützer entstanden sein: Würde man zusätzlich zur
Vernebelung auch den Empfang von GPS-Signalen rund um die Reaktoren
durch Störsender einschränken oder ganz unterbinden -- wie es ja
schließlich auch das US-Militär in Krisengebieten macht, um die eigenen
Truppen zu schützen --, hätten die Piloten der anfliegenden Maschinen
nicht nur kein genaues Sichtziel, auch die Satellitennavigation an Bord
wäre mangels GPS-Daten unbrauchbar.

Tatsächlich haben sich der Energiekonzern E.ON[4] und das
Niedersächsische Umweltministerium laut HAZ inzwischen darauf geeinigt,
eine solche Maßnahme am Kernkraftwerk Grohnde bei Hameln zu erproben.
Auch das Bundesumweltministerium, der Bundesinnenminister und der
Verteidigungsminister sollen ihr OK gegeben haben. Die Fakten lassen
allerdings darauf schließen, dass hier eher ein Schildbürgerstreich
ausgeheckt wurde, statt ein wirksames Sicherheitsmodell zu entwickeln.

Zum einen sind Atomkraftwerke große, meist helle Klötze in der
Luft-Landschaft, die bei guten Bedingungen aus einer Entfernung von 50
Kilometern und mehr zu sehen sind und daher gerne als
Orientierungspunkte genutzt werden. Nebelt man sie nun ein, erscheinen
sie noch größer und sind daher aus noch größerer Distanz gut zu
erkennen. Auch eine Störung des GPS-Empfangs in der unmittelbaren
Umgebung der Reaktoren würde nicht ausreichen, da eine Verkehrsmaschine
diesen Bereich in wenigen Sekunden durchfliegt. Und bis die GPS-Anlage
überhaupt gemerkt hätte, dass keine Signale mehr da sind, wäre das
Flugzeug schon im Ziel eingeschlagen.

Als Konsequenz müsste man also den Empfangsbereich sehr viel
großflächiger stören -- ein Durchmesser von 100 Kilometer für jedes
Kraftwerk wäre das Minimum. Bei der Größe Deutschlands verbunden mit
der vorhandenen Kernkraftwerks-Dichte[5] würde man damit aber der
Nutzung von GPS-Daten hierzulande (Straßennavigation, Luftfahrt,
Toll-Collect) den Todesstoß versetzen. Abgesehen von der Tatsache, dass
auch dem legalen Stören eines Funkdienstes derzeit noch einige Gesetze
im Weg stehen. Die für Funkdienste in Deutschland zuständige
Bundesnetzagentur[6] teilte heise online auf Anfrage mit, dass nach dem
geltenden TKD eine Zuweisung von Störsendern sowieso nicht möglich ist.

Statt es mit abenteuerlichen Störmanövern zu versuchen, unter denen die
Republik mehr leidet, als dass ein erkennbarer Sicherheitsgewinn damit
verbunden ist, würde viel mehr Sinn machen, die Navigationsprogramme
moderner Flugzeuge mit Koordinaten zu füttern, die sicherheitkritische
Gebäude und Einrichtungen repräsentieren, die nicht angeflogen werden
dürfen. Verbunden mit einem elektronischen Fly-by-Wire-System, wie es
etwa in der Boeing 777 und mehreren Modellen des europäischen
Flugzeugbauers Airbus schon vorhanden ist, hätten potenzielle
Highjacker kaum eine Chance, solche Punkte als Angriffsziele
auszuwählen. Vielmehr würden die Steuerungscomputer in den Flugzeugen
selbsttätig alles unternehmen, um beispielsweise einen gezielten
Absturz auf ein Atomkraftwerk zu verhindern.
 (pmz[7]/c't)

Links in diesem Artikel:
  [1] http://www.bmu.de
  [2] http://www.haz.de/politik/281659.html
  [3] http://www.bfs.de/
  [4] http://www.eon.com/
  [5] http://www.bfs.de/kerntechnik/ereignisse/standorte/karte_kw.html
  [6] http://www.bundesnetzagentur.de
  [7] mailto:pmz -!
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