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[infowar.de] Kriegspornographie oder Realitätsvergewisserung?
http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21037/1.html
Kriegspornographie oder Realitätsvergewisserung?
Florian Rötzer 29.09.2005
Soldaten erhalten Zugang zu einer Porno-Website, wenn sie grausame Bilder
aus dem Irak oder aus Afghanistan posten, die wohl kein normales Medium
publizieren würde
Nur gelegentlich erhalten die Menschen einen ungefilterten Einblick über
Bilder in die Grausamkeit des Kriegs, der nun seit Jahren in Afghanistan
und im Irak ausgefochten wird. Wir hören zwar immer wieder von Anschlägen
und hier sehen wir auch gelegentlich die Folgen. Kommen bei Kämpfen, bei
Hausdurchsuchungen, an Straßensperren oder bei anderen Einsätzen
mutmaßliche Aufständische oder auch Zivilisten ums Leben, so erfahren wir
das kaum und kriegen dies in aller Regel auch nicht zu sehen. Die Medien
geben sich meist verantwortlich und zeigen die Grausamkeit des Krieges
nicht. Das sei nicht erwünscht, die Bilder würden nur der Schaulust einer
Gewaltpornographie oder einem Sensationsjournalismus dienen. Doch der
globale Krieg gegen den Terror wird auch in der Zeit des Internet und von
Digitalkameras geführt, so dass durch die Sperren der Militärs und Medien
doch immer wieder Bilder auftauchen, die den Schrecken der Kriege zeigen
und meist nicht mehr von Journalisten wie einst, sondern von Soldaten stammen.
Die Wirklichkeit findet statt, auch wenn sie manchmal für die Kamera wie
bei den Bilder der Misshandlungen in Abu Ghraib inszeniert wird. Aber es
herrscht in aller Regel ein Einvernehmen darüber, dass die Wirklichkeit in
manchen Aspekten keinen Eingang in Bilder finden soll, die in die
Öffentlichkeit gelangen. Das sei moralisch verwerflich, würde die
Schaulust provozieren und die Verrohung fördern und vor allem Kinder
traumatisch schockieren. Man führt an, dass solche Gewaltdarstellungen die
Menschenwürde verletzen und dazu dienen können, die Gewalt/den Krieg zu
verherrlichen ( Bilder von Kriegsopfern unerwünscht (1)). Bei den Krieg
führenden Parteien stehen die Medien zudem unter Druck, mit dem Zeigen von
grausamen Bildern ihrem Militär und dem Kampf in den Rücken zu fallen.
Verbunden wird das Nicht-Zeigen der Bilder allerdings in aller Regel nicht
mit der Forderung nach einem Ende der Grausamkeiten. Hier sind die Medien
dann doch nur angeblich neutrale Berichterstatter, die über die wirklichen
Vorgänge der Welt berichten müssen.
Wie auch immer begründet wird, warum ein Konflikt- oder Kriegsschauplatz
nur auf von Schrecklichkeiten gesäuberten Bildern, also durch ein
Wegschauen oder Zensieren, der Öffentlichkeit präsentiert werden darf, so
wird durch das Ausblenden die Wirklichkeit verharmlost, in der die
Menschen, einschließlich der Kinder, in den Kriegs- und Konfliktgebieten
leben müssen und mit der Aufständische, Soldaten und alle am Konflikt
direkt Beteiligten konfrontiert sind. Anders als bei Unfällen,
Katastrophen oder kriminellen Taten werden Kriege im Namen eines Landes
geführt, Aufständische führen ihre Aktionen im Namen deer angeblich von
ihnen Vertretenen aus. Zwar haben mittlerweile Terroristen gelernt, dass
nicht nur Bilder von den Grausamkeiten der Gegner, sondern auch solche von
ihren Anschläge und Überfälle ein wichtiges Propagandamittel sind. Die
"normalen" Streitkräfte oder Milizen versuchen jedoch in aller Regel, den
Fluss der Bilder zu kontrollieren und zu beschneiden. Eine Folge ist, dass
Kriege und Konflikte, aber auch Anschläge, die in der Ferne stattfinden,
in der gereinigten Version nicht so schrecklich erscheinen und eher
geduldet werden. Man lässt die Menschen, die mit dem Schrecken
konfrontiert sind oder ihn ausüben (müssen), alleine. Die erlebte und
begangene Grausamkeit wirkt nicht nur bei Kindern traumatisch, sondern
auch bei den Soldaten, die aus den Kriegsgebieten in eine soziale
Wirklichkeit zurückkehren, in der sie Erfahrungen nicht mitteilen können,
weil diese hier nicht bekannt sind oder unterdrückt werden.
--There is an unspoken rule against publishing images that would be
extremely horrifying such as a bloody stump on an amputee or a mangled
corpse. Die Medien und die Berichterstattung über den Irak-Krieg (2)--
Verpöntes sucht sich andere Wege
Kein Wunder also, dass die Bilder - und die dahinter stehenden Erfahrungen
- dann in anderen Kanälen auftauchen, die nicht so "anständig" und
"moralisch" sind wie die "seriösen" Medien. Manche Bilder gelangen über
Blogs in die Öffentlichkeit, aber auch auf Webseiten wie
http://crisispictures.org/. Hier werden Fotos veröffentlicht, die von
Fotografen von Nachrichtenagenturen gemacht, aber nicht publiziert wurden
( Der Preis des Kriegs und die Macht der Bilder (3)). Grausame Fotos und
Videos von Anschlags- oder Kriegsopfern werden aber auch von manchen
zwielichtigen Websites veröffentlicht, die die Schaulust am Leiden oder
Schicksal von anderen befriedigen wollen. Hier ergeben sich dann auch
Verbindungen mit Pornographie, schließlich sind sadomasochistische
Inszenierungen deren Bestandteil.
Warporn oder Kriegspornographie wird so etwas verurteilend benannt, meist
aber nicht überlegt, ob die Wirklichkeit sich nicht andere Wege suchen
muss, um ans Licht zu gelangen, wenn sie weggesperrt werden soll - und ob
man mit dem verpönten Machen und Betrachten solcher grausamen Bilder nicht
erst die heimliche Schaulust schafft. Direkt eingelöst hat Chris Wilson
aus Florida das auf seiner Website NowThatsFuckedUp.com, die
sicherheitshalber schon einmal von einem Provider in Amsterdam gehostet wird.
Ursprünglich funktionierte die Website so, dass Schaulustige eine
Mitgliedsgebühr zum Betrachten der Bilder bezahlen müssen, während
diejenigen, die selbst gemachte Bilder oder Videos von mehr oder weniger
nackten Frauen posten, freien Zugang als "Supporter" erhalten:
--The picture must be of a female and she must be nude or at least
topless. For a nude most of the woman's body must be clearly visible in
the picture, unclothed with at least one breast (and nipple) showing. If
only topless most of BOTH breasts and BOTH nipples must be clearly showing.--
Da offenbar sehr viele Soldaten, auch aus den Kriegsgebieten im Irak und
in Afghanistan zu den Besuchern gehören, die aber angeblich ihre
Mitgliedsgebühren nicht zahlen können, weil die Kreditkartenfirmen das
Abbuchen in Ländern mit hohem Sicherheitsrisiko verhindern, kam Wilson auf
die Idee, diesen auch eine kostenlosen Mitgliedschaft im Austausch mit
Bildern aus dem Irak anzubieten. Seit 2004 konnten also Soldaten und
Soldatinnen auch freien Zugang zu der Website erhalten, wenn sie keine
Bilder von sich oder befreundeten Soldatinnen einschickten, es mussten
einfach nur Bilder aus den Edinsatzgebieten sein:
--If you are a U.S. Soldier stationed in Iraq, Afghanistan, or any other
combat area and would like free SUPPORTER access for the site, you can
post real pictures you or your buddies have taken while you have been
deployed.--
Ab Juni 2005 wurde dann eine besondere Rubrik für die "gore"-Bilder
eingerichtet ( Der viehische Krieg (4)). Und die Soldaten scheuten sich
nicht und schickten mit entsprechenden Kommentaren Bilder von Leichen
irakischer Aufständischer oder Zivilisten mit heraushängenden Gedärmen,
aufgeplatzten Schädeln oder anderen Verstümmelungen bzw. herumliegenden
Körperteilen. Ob die Fotos tatsächlich "authentisch" sind, ist eine andere
Frage. So schreibt ein Soldat zu Bildern von zerfetzten Leichen:
--Don't FUCK with the U.S. Army Some more insurgents sent to explain
themselves to Allah. Killing is never a casual occurance, but I would kill
a thousand to save one American life. I am not responsible for the enemy
casualties shown here.--
Dass ein Leben im Krieg nicht viel wert ist, machen Bilder und Kommentare
der Soldaten deutlich. Schlimmer sind wohl die Bemerkungen der
Schaulustigen, die etwa meinen "nice" oder sachkundig "Powerful ammo that
did that damage". Gelegentlich wird aber auch gestritten und gibt es auch
kritische Bemerkungen, wie das in jedem Forum der Fall ist.
Unschlüssigkeit im Pentagon
Die Verwendung von Digitalkameras und das Machen von Fotos ist vom
Pentagon nicht direkt verboten worden. Aber die Marines etwa erhielten
schon vor dem Krieg strenge Regeln, was sie fotografieren durften und was
untersagt war:
--Keine Bilder von toten oder verletzten Irakern, keine Bilder von
amerikanischen Opfern, keine Bilder von Gefangenen und keine Bilder, die
Schutzeinrichtungen wie Sperren oder Stellungen von Scharfschützen
zeigen.-- Die Digitalkameras sind immer dabei (5)
Angeblich wurde der Zugang aus den Konfliktgebieten zu der Website vom
Pentagon bereits blockiert (6), als mehr und mehr Fotos von (halb)nackten
Soldatinnen auftauchten. Ansonsten hat man sich offenbar bis jetzt nicht
um die Website und die Einhaltung der Regeln gekümmert. Mark Glaser hat
vor kurzem Pentagon-Mitarbeiter im Irak und in den USA nach der Website
befragt (7). Für diese war sie angeblich unbekannt, von ihren Computern
konnten sie auch nicht darauf zugreifen. Die Website muss vom Pentagon
nicht ausdrücklich gesperrt sein, als Porno-Website wird der Zugang von
den installierten Filtern sowieso verhindert. Man war sich allerdings
nicht ganz einig, ob die Publikation von Toten, wenn ihre Körper nicht
verstümmelt sind, schon nach den Genfer Konventionen und den
Pedntagon-Regeln verboten sei. Das Pentagon selbst habe, so ein Offizier,
Bilder der Leichen der Hussein-Söhne mit ihren Wunden gezeigt. Allerdings
würden Fotos von getöteten Irakern eine negative Wirkung haben, weil sie
vom Gegner gegen die Amerikaner benutzt werden könnten. Doch mittlerweile
scheint man im Pentagon die Sache wichtiger zu nehmen und hat eine
Untersuchung eingeleitet (8).
--As the Internet has given bloggers powerful tools of communication
outside the realm of the mainstream media, it has also given soldiers the
ability to relay their experiences in ways Americans will never get from
traditional news sources.
But the posts on www.nowthatsfuckedup.com are not meant to subvert the
sanitized mainstream media with the goal of waking the general public up
to the horrors of war. Rather, all of the posters--and many of the site's
patrons--appear to regard the combat photos with sadistic glee, and
pathological wisecracks follow almost every post.-- The Porn of War (9)
in The Nation vom 22.9.05
Wie auch immer das Pentagon entscheiden wird, also ob das Posten solcher
Bilder die Genfer Konventionen oder Pentagon-Vorschriften verletzt, so
bleibt die Frage, ob die Menschen diese Grausamkeiten eines Krieges sehen
müssen oder zumindest sehen können sollten, um zu erfassen, was in einem
Kriegsgebiet geschieht. Ist es also zu begrüßen, dass das Internet dazu
dient, auch solche Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen, die man
sonst aus den verschiedensten Gründen aus den traditionellen Massenmedien
verbannt hat? Das geschieht dann mitunter erst einmal in den
Schmuddelecken des Internet. Aber kaum zu leugnen ist auch, dass solche
grausamen Bilder auf ein Schaubedürfnis stoßen. Vielleicht wäre auch hier
vor der eiligen moralischen Verurteilung zu fragen, ob es hier nicht
zumindest auch um eine ambivalente fasziniert-erschreckte Vergewisserung
der Realität geht, die über die normale Vorstellungskraft hinausgeht.
Die Tendenz der Kriegsführenden ist auf jeden Fall, die Bilder möglichst
zu kontrollieren, weil man um deren Macht weiß. Die Nachrichtenagentur
Reuters hat sich gerade erst an den republikanischen Senator John Warner
gewandt (10), der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses ist, der heute
eine Anhörung mit Verteidigungsminister Rumsfeld durchführt. In einem
Brief an den Senator schrieb David Schlesinger, Global Managing Editor von
Reuters, dass die US-Streitkräfte im Irak zunehmend Journalisten auch mit
Festnahmen und sogar mit Beschuss daran hindern, über den Konflikt zu
berichten.
Es habe bereits eine lange Serie von Vorfällen gegeben, bei denen
"professionelle Journalisten von US-Streitkräften im Irak getötet,
fälschlicherweise festgenommen und/oder rechtswidrigt missbraucht" worden
seien. Auch einige Reuters-Journalisten sind von US-Soldaten getötet
worden, das Pentagon hat die Soldaten in Schutz genommen und nach Ansicht
von Schlesinger keine ausreichenden Untersuchungen der Vorfälle
vorgenommen. Im Augenblick würden vier Journalisten, die für
internationale Medien arbeiten, ohne Begründung und Rechtsbeistand von den
Amerikanern festgehalten. Man habe mehrfach versucht, mit dem Pentagon zu
sprechen, aber ohne Erfolgt. Jetzt scheine "die Situation außer Kontrolle
zu geraten".
LINKS
(1) http://www.telepolis.de/r4/artikel/14/14600/1.html
(2) http://www.telepolis.de/r4/artikel/19/19719/1.html
(3) http://www.telepolis.de/r4/artikel/19/19274/1.html
(4) http://www.telepolis.de/r4/artikel/20/20801/1.html
(5) http://www.telepolis.de/r4/artikel/17/17524/1.html
(6) http://www.freerepublic.com/focus/f-news/1349176/posts
(7) http://www.ojr.org/ojr/stories/050920glaser/
(8) http://www.nytimes.com/2005/09/28/international/middleeast/28site.html
(9) http://www.thenation.com/docprint.mhtml?i=20051010&s=the_porn_of_war
(10) http://www.alertnet.org/thenews/newsdesk/L28327739.htm
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