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[infowar.de] Betreiber von Kriegs-Porno-Website verhaftet



Das Vorspiel dazu:
http://archive.infopeace.de/msg03455.html bzw.
http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21037/1.html

In der Süddeutschen Zeitung von heute ist auch ein kurzer Artikel, ich habe ihn unten rangehängt.
RB


http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21113/1.html

Sind grausame Kriegsbilder obszön?
Florian Rötzer 10.10.2005

Der Betreiber einer Sex-Website, auf der US-Soldaten Kriegsbilder posten können, wurde wegen sexueller Obszönität verhaftet

Vor kurzem wurde die Website NowThatsFuckedUp.com (1) bekannt oder berüchtigt, in der Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan stationiert sind oder waren, Fotos oder Videos einreichen können, um einen freien Zugang zu den sexuellen Inhalten zu erhalten. Aufmerksamkeit erhielt die Seite, nachdem ihr Betreiber Chris Wilson aus Florida eine Rubrik für "Gore"-Fotos, also für brutale Bilder von getöteten und zerfetzten Irakern und Afghanen, eingerichtet hat ( Kriegspornographie oder Realitätsvergewisserung? (2)). Bilder von verletzten und getöteten US-Soldaten wurden nicht eingereicht oder nicht publiziert. Das Pentagon hatte, nachdem der Fall durch die Medien ging, eine Untersuchung eingeleitet, aber schnell wieder eingestellt (3), da man angeblich nicht habe feststellen können, ob die Bilder wirklich von US-Soldaten kämen. Nun wurde Wilson festgenommen, weil er obszöne Bilder besitzt und verbreitet.

Der 27-jährige Wilson, ein ehemaliger Polizist, der offenbar bessere Einkommensmöglichkeiten entdeckt hat, wurde von der örtlichen Polizei am Freitag festgenommen (4). Seine Computer und Speichermedien wurden beschlagnahmt. Die Festnahme durch die Polizei von Polk County erfolgte angeblich völlig unabhängig von den grausamen Kriegsbildern. Es ginge nur um die Veröffentlichung von obszönen Aufnahmen in 300 Fällen.

Nachdem die Website durch die Medien ging, wurden noch eine ganze Reihe von diesen Fotos gepostet, was wieder einmal bestätigt, dass Skandalisierung eigentlich eine Form der Werbung ist. Andererseits führen die Bilder dieser Webseite auch vor, was ein Krieg bedeutet und was die Menschen auf allen Seiten erleben müssen, die in einen solchen verwickelt sind. Wie man auch immer zu einer Veröffentlichung solcher Bilder einer existierenden Wirklichkeit stehen mag, die den Medienkonsumenten normalerweise nicht gezeigt werden, so stellt sich dadurch immerhin wieder einmal die Frage, ob die Massenmedien zu Recht ihren Kunden diese Wirklichkeitsabbildungen vorenthalten oder ob die Menschen nicht nur ein Recht, sondern womöglich auch die Pflicht haben, auch in Form von Bildern zu sehen, was sie teilweise mit politisch verantworten oder dulden.

Für die Polizei des Polk County geht es aber angeblich nicht um die grausamen Kriegsbilder, sondern um die ganz normalen Geschäfte der Website, auf der Internetnutzer beispielsweise mehr oder weniger nackte Bilder von ihren angeblichen Frauen oder Freundinnen posten. Darunter auch von Soldatinnen. Der Richter legte eine Kaution von immerhin 151.000 US-Dollar fest. Der Verteidiger von Wilson, Lawrence Walters, glaubt allerdings nicht so recht an die Behauptungen der Polizei. Tatsächlich ist der Zeitpunkt auffällig. Für Walters ist es eine Frage der Meinungsfreiheit. Allerdings kommt hinzu, dass die Website zwar von Wilson betreut wird, aber auf einem Server in Holland liegt. Nach Wilson dürfe Wilson nicht gezwungen werden, seine Website vom Netz zu nehmen, weil das eine Verletzung des Ersten Verfassungszusatzes und der Bürgerrechte wäre - "und von jedem Menschen auf der Erde, der sich diese Bilder anschaut".

Sheriff Grady Judd sagte, die Bilder seien mit die schlimmsten, die er jemals gesehen habe, wobei er sich wohl nicht wirklich auf die Sexbilder beziehen kann, die so einzigartig nicht sein dürften. "Kein Mensch kann sich vorstellen, was auf diesen Fotos und in diesen Videos dargestellt werde", sagte er:

--It is the most horrific, vile, perverted sexual conduct. It is as vile, as perverted, as non-normal sexual conduct, which rises to the level of obscenity, as we've ever investigated.--

Wenn doch die Kriegsbilder gemeint sein sollten, dann gehen sie tatsächlich über die Vorstellung hinaus, aber sie sind eben kein Produkt einer wildgewordenen Fantasie, sondern Abbild der blutigen Wirklichkeit. Kann die Wirklichkeit obszön sein?

Für den Verteidiger ist klar, dass der Vorwurf der Obszönität sich nur auf die Kriegsbilder beziehen kann, die aber sind für ihn "politische Nachrichten":

--The rest of it is merely sexually oriented entertainment, which has become virtually mainstream in current society. There's nothing different or more extreme about this particular Web site.--

Manche Medien nennen (5), wenn sie über den Fall berichten, auch den Namen der Website nicht, geschweige denn, dass sie die Website verlinken, um ja nicht in den Verdacht zu geraten, etwas Falsches zu machen (obgleich dies mit dem Internet und den Suchmaschinen an Scheinheiligkeit grenzt).

Aber möglicherweise stimmt es ja, wenn der Sheriff sagt, die Website sei schon früher in den Blickwinkel der Polizei geraten und die neuerliche Medienresonanz wegen der Kriegsbilder habe nur für erneute Aufmerksamkeit gesorgt. Man habe jetzt also 20 Videos und 80 Fotos gefunden, die "abscheulich" seien. Der Oberste Gerichtshof habe gesagt, dass etwas, das obszön ist, die "moralischen Empfindungen einer Gemeinschaft schockieren" müsse: "Ich kann mir keinen normalen Menschen vorstellen, der nicht schockiert wäre." Und was obszön ist, kann für das Internet im Prinzip an einem Ort in den USA strafbar sein und an einem anderen Ort nicht ( Die Fotografin und die "herrschende Meinung" (6)).

Walters argumentiert hingegen, dass die die örtliche Polizei mit der Anführung von lokalen moralischen Maßstäben kein Recht habe, international zugängliche Inhalte zu verfolgen: "Sie sagen, dass die Gemeinschaftsmaßstäbe hier verschieden sind. Aber nur deswegen, weil die Inhalte hier zugänglich sind, können sie ihre Maßstäbe nicht durchsetzen, was die Menschen global sehen sollen", sagt Walters.

Angeblich untersucht das Pentagon aber weiterhin den Fall, da das Betrachten oder Herunterladen von Pornographie gegen Regeln verstoße und bestraft werden könne. Leutnant John Robinson, ein Pentagon-Sprecher, fügte allerdings hinzu, dass es doch mehr um nicht sexuelle Obszönität geht: "Es ist viel schwerwiegender, dass Einzelne ihren Vorteil daraus ziehen, grausame Bilder vom Schlachtfeld auszutauschen. ... Wir wollen nicht, dass die Ernsthaftigkeit darüber verloren geht, was im Irak vor sich geht." Aber ob das nur die gesäuberten Bilder zeigen, die das Pentagon etwa auf seiner Webseite Defend America (7) veröffentlicht?

LINKS

(1) http://nowthatsfuckedup.com/
(2) http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21037/1.html
(3) http://www.faz.net/s/Rub8A25A66CA9514B9892E0074EDE4E5AFA/Doc~E371A9093644048658B5162F3FB17B759~ATpl~Ecommon~Scontent.html
(4) http://www.tuscaloosanews.com/apps/pbcs.dll/article?Date=20051008&Category=APN&ArtNo=510080702&SectionCat=&Template=datelineprint
(5) http://www.orlandosentinel.com/news/local/southwest/orl-porn0905oct09,0,7128754.story?coll=orl-news-headlines-swest
(6) http://www.telepolis.de/r4/artikel/20/20894/1.html
(7) http://defendamerica.mil/



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Unvorstellbare Bilder

11 Oktober 2005, Süddeutsche Zeitung

Betreiber von Horror-Porno- Web-Sites in Florida verhaftet

Christopher Michael Wilson hat der Formulierung von der "Pornographie des Krieges" eine völlig neue Bedeutung verliehen. Auf seiner Webseite veröffentlichte er Bilder verstümmelter oder verbrannter Leichen, die im Irak und in Afghanistan stationierte US-Soldaten offenbar eingeschickt hatten, um Zugang zu den Sex-Bildern der Seite zu bekommen. Am Freitag ist Wilson in Lakeland, Florida, verhaftet worden. Wegen der Veröffentlichung von Obszönitäten in 300 Fällen, hieß es aus dem Büro des Sheriffs von Polk County. Wegen der Bilder aus dem Irak, sagt Wilsons Anwalt Lawrence Walters: "Ich habe keine Ahnung, was sie meinen, außer sie beziehen sich auf die Bilder aus dem Irak - und die gehören zu den politischen Nachrichten", so Walters. Wilsons Verhaftung sei eine Reaktion auf die Medien-Berichte in der vergangenen Woche, die immerhin dazu geführt hatten, dass das Pentagon eine Untersuchung der Angelegenheit einleitete, wenn es sie auch sofort wieder einstellte. (SZ vom 30. September). Die Kaution legte Richter Grady Judd mit 151 000 Dollar fest. Die Seite selbst funktioniert weiterhin: Der Server steht in Amsterdam. Wilson zu zwingen, sie abzuschalten, so Walters, verletze "den ersten Verfassungszusatz", ja, es wäre eine Verletzung der Bürgerrechte."

Der Ex-Polizist Wilson hat seine Online-Mischung aus Schädelresten neben Blowjobs inzwischen mit einem Zitat aus dem Zweiten Weltkrieg garniert: "Tote sind umsonst gestorben, wenn die Lebenden sich weigern sie anzusehen" - und im Netz wird diskutiert, ob Menschen "die Pflicht haben, auch in Form von Bildern zu sehen, was sie teilweise politisch mitverantworten" (Telepolis), ob Wilsons Horror-Porno-Laden nicht doch irgendwo ein aufklärerisches, medienkritisches Moment enthält.

"Kein normaler Mensch kann sich vorstellen, was auf diesen Videos und Fotos gezeigt wird", so Judd. Dies dürfte sich allerdings tatsächlich weniger auf die Amateur-Pornos, die im Internet inzwischen Dutzendware sind, beziehen als auf die Leichenbilder. Das Pentagon, das vor kurzem noch Zweifel hatte, ob die Fotos aus dem Irak oder aus Afghanistan stammen, will nun Disziplinarmaßnahmen gegen jene Soldaten einleiten, die Bilder an Wilson von Regierungscomputern abgeschickt haben. "Viel schwerwiegender aber ist, dass Personen davon profitieren, dass sie Schreckensbilder vom Schlachtfeld verschicken", so Presseoffizier John Robinson: "Das ist besorgniserregend . . . Wir wollen nicht das Gespür dafür verlieren, wie ernst die Situation im Irak ist."

SONJA ZEKRI

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