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[infowar.de] SZ: Nanotechnik. Krieg im Zwergenreich
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SZ vom 22.2.2006
Ressort: Wissen
Nanotechnik
Krieg im Zwergenreich
Künstliche Muskeln, die stark machen. Chamäleon-Fahrzeuge, die unsichtbar
machen. Anzüge, die unverwundbar machen. Die Armee der Zukunft könnte ein
Science-Fiction-Autor entsonnen haben.
Von Wiebke Rögener
Zu Napoleons Zeiten waren Uniformen hübsch bunt und halfen so, Freund und
Feind zu unterscheiden. Später wurden sie tarnfarbig, ein Helm ersetzte
Tschako und Husarenmütze.
Der Kampfanzug der Zukunft aber soll weit mehr bieten als solch
notdürftigen Schutz: Neuartige Werkstoffe machen ihn fast
undurchdringlich; wird der Soldat dennoch verletzt, kann seine Montur die
Wunde schließen, nach Bedarf Medikamente absondern oder sich um ein
gebrochenes Bein automatisch zur Schiene versteifen.
Leichte, aber durchschlagkräftige Waffen steuert der Kämpfer durch die
Macht seiner Gedanken, künstliche Muskeln im Anzug verleihen ihm enorme
Körperkräfte.
Staubkornkleine Spione
Er bewegt sich in Fahrzeugen, die wie ein Chamäleon die Farbe wechseln und
im Radarstrahl unsichtbar bleiben. Winzige Rechner im Gewebe der Uniform
halten Kontakt zur Truppe.
Staubkornkleine Spione, die unbemerkt im Feindesland agieren, liefern
ständig Informationen über die Lage.
Nanotechnologie soll diese wehrtechnischen Wunder möglich machen. Denn im
Bereich der Millionstel Millimeter zeigen viele Materialien neuartige
Eigenschaften, und mit elektronischen Bauelementen im Nanomaßstab lassen
sich winzige Rechner und Sensoren konstruieren.
Das amerikanische Institute for Soldier Nanotechnology (ISN) in Cambridge,
das zum Massachusetts Institute of Technology gehört, wurde 2002 eigens
gegründet, um mit derlei Technik den Infanteristen zum Supermann aufzurüsten.
Erklärtes Ziel der Forscher, die in den hauseigenen ISN News gern in
Kampfmontur posieren, ist ein „kugelsicherer Anzug, der vielleicht
übermenschliche Fähigkeiten verleiht“.
Intelligenter Staub
Nicht immer sind die Experten darüber einig, wo die Grenze zwischen
Zukunftstechnologie und Science Fiction verläuft. Thomas Kretschmer vom
Fraunhofer Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen
(INT) in Euskirchen erstellte für das Verteidigungsministerium eine Studie
zur militärischen Nanotechnologie, die bald veröffentlicht wird.
Er meint: „Nanotechnologie ist eine normale Weiterentwicklung der Technik
und beeinflusst damit auch viele militärische Anwendungen. Doch Vieles,
was kolportiert wird, ist völlig utopisch.“
So genannte Nanobots etwa – sich selbst reproduzierende künstliche Gebilde
aus kleinsten Einheiten – werde es niemals geben, glaubt Kretschmer.
Dagegen will Jürgen Altmann, Physiker und Rüstungskontrollexperte an der
Universität Dortmund derartige „Assembler“ nicht ausschließen. In einer
von der Deutschen Stiftung Friedensforschung finanzierten Studie
untersuchte er, was demnächst möglich ist im Krieg der Zwerge (Military
Nanotechnology: Potential Applications and Preventive Arms Control,
Routledge, London/New York, 2005).
„Bisher hat niemand zeigen können, dass solche Systeme Naturgesetzen
widersprechen. Ich gehe daher davon aus, dass sie kommen können. In den
nächsten zehn Jahren aber müssen wir uns darum wohl noch keine Sorgen
machen“, ist Altmanns Fazit.
Auch intelligenter Staub dürfte noch etwas auf sich warten lassen.
„Smart Dust“ bezeichnet den Plan, massenhaft winzige Sensoren
herzustellen, die im Feindesland unbemerkt spionieren könnten.
„Die Idee ist, viele kleine, dumme Sensoren miteinander kommunizieren zu
lassen, so dass sie gemeinsam eine ‚Schwarmintelligenz’ bilden. Doch das
hat noch niemand konkretisieren können“, sagt Kretschmer.
Derzeit arbeite man in den USA an „intelligenten Staubkörnern“ von einem
Millimeter Kantenlänge, berichtet Altmann. „Sie sollen Temperaturen
messen, Erderschütterungen aufzeichnen oder Chemikalien erkennen.“
Bisher ist allerdings das Problem der Energieversorgung für solche
Kleinst-Kundschafter nicht gelöst.
Doch andere Produkte aus der Nanowelt könnten schon in den nächsten fünf
bis zehn Jahren fürs Militär rekrutiert werden, schätzt Altmann. „Wenn es
gelingt, Verbundwerkstoffe aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen herzustellten,
wäre das ein ideales Material für leichtere Flugzeuge oder unbemannte
Flugkörper.“
Bauteile im Zwergenmaßstab
Gemeinsam mit elektronischen Bauteilen im Zwergenmaßstab ließen sich
daraus auch winzige Satelliten konstruieren. Ganze Schwärme davon könnten
Ziele auskundschaften oder Satelliten des Gegners zerstören.
Auch winzige, in Kampfanzüge integrierte Computer seien in diesem Zeitraum
realisierbar. Sie könnten ihre Energie aus den Bewegungen des Soldaten
beziehen.
Noch etwas körpernäher als die intelligente Uniform wäre Nanotechnik, die
direkt mit dem Soldaten verbunden ist.
Automatisch high
Wo Mediziner heute an Implantaten forschen, die Prothesen steuern, oder
Nano-Gefährte entwickeln die Medikamente in den Körper schleusen, liegen
auch militärische Nutzungen nahe: „Bei Erschöpfung würden Soldaten
automatisch Drogen erhalten, die sie länger kampffähig machen; auch
Manipulationen der biochemischen Prozesse im Körper sind denkbar, die
bewirken, dass ein Soldat eine Woche lang ohne Schlaf auskommt, ohne zu
ermüden“, schildert Altmann die Perspektiven.
Nanoelektronische Bauteile könnten direkt mit dem Nervensystem des
Soldaten gekoppelt werden oder über Sensoren im Helm, Signale vom Gehirn
empfangen, mit denen sich Geräte steuern lassen.
Noch sei aber die Signalübertragung zwischen biologischer und technischer
Welt ein schwierig zu lösendes Problem, erklären die Technikpropheten vom
INT (Strategie und Technik, Januar 2005, S. 14).
Früher als der elektronisch aufgemotzte Supersoldat könnten andere
Mischwesen aus Biologie und Technik auf den Kampffeldern auftauchen. Es
wird daran geforscht, Ratten oder Insekten mit Elektroden im Gehirn zu
steuern. Sie könnten für Aufklärungszwecke eingesetzt werden, aber auch
biologische oder chemische Kampfstoffe transportieren.
Schon bevor derartige Techno-Kreaturen tatsächlich auf die
Kriegsschauplätze gelangen, spielen sie eine Rolle in der gezielten
Desinformation.
Chinesische Forscher würden winzige „Ameisen-Roboter“ entwickeln, die in
amerikanische Computercenter, Flugzeuge oder Energieversorgungssysteme
eindringen könnten, behauptete der ehemalige China-Spezialist im
US-Verteidigungsministerium Michael Pillsbury im Jahr 2000 unter Hinweis
auf einen Artikel des chinesischen Generals Sun Bailin.
„Die Überprüfung der von Pillsbury genannten Quelle ergab: Es handelte
sich um eine Studie der US RAND Corporation, die solche Insekten-Roboter
als mögliche eigene Waffe gegen Feinde der USA erwähnte“, berichtet
Altmann (IEEE Technology and Society Magazin, S. 34, Winter 2004). Sun
Bailin hatte lediglich über eine Studie dieses Think Tanks referiert, der
die US-Streitkräfte berät.
Verbot für zu kleine Roboter
Ob schon in greifbarer Nähe oder noch Zukunfts-Marschmusik – der
wehrtechnische Einsatz der Nanotechnologie müsse dringend durch
internationale Verträge kontrolliert werden, fordert Jürgen Altmann.
Verboten werden solle beispielsweise die Entwicklung von selbstständig
arbeitenden Sensorsystemen, die weniger als drei bis fünf Zentimeter groß
sind oder von autonomen Robotern, die kleiner sind als 20 Zentimeter. Denn
je kleiner die Systeme, desto schwieriger wird die Überwachung.
Weltraumwaffen sollten völlig geächtet werden. Für Eingriffe in den
menschlichen Körper, die nicht ausschließlich medizinisch motiviert sind,
schlägt er ein zehnjähriges Moratorium vor.
„Wichtig ist es außerdem, die Konventionen gegen chemische Waffen strikt
einzuhalten und klarzustellen, dass alle Nano-Waffen, die kleiner als eine
Zelle sind, als ‚chemische Agentien’ unter dieses Abkommen fallen.“
Die Konvention gegen B-Waffen müsse gestärkt werden. Sie sollte alle
übrigen mikroskopisch kleinen Waffen erfassen, die in den Körper
eindringen – auch wenn sie ganz oder teilweise künstlich sind.
Noch ist es möglich, den Krieg im Zwergenreich zu begrenzen, hofft
Altmann: „Wir haben bei der Nanotechnik den Vorteil, dass wir uns über
Maßnahmen zur Rüstungskontrolle verständigen könnten, bevor diese
Technologie allgegenwärtig und der Rüstungswettlauf in vollem Gange ist.“
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