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[infowar.de] Virtueller Krieg als Problem der Perspektive



http://www.telepolis.de/r4/artikel/23/23776/1.html

Ein schwarzer Tag für Kuba
Stefan Höltgen 23.10.2006

Virtueller Krieg als Problem der Perspektive

Darauf, dass Computerspiele mit Kriegstechnologie und -ideologie in
engem Zusammenhang stehen, wurde immer wieder hingewiesen (vgl.  Krieg
als Computerspiel (1)).  Zwei dieses Jahr erschienene Kriegsspiele
reihen sich nun in den Kanon, der bereits mit "Pong" begonnen hat, ein
und entwerfen je unterschiedliche Sichtweisen auf das Kampfszenario:
"Black" (Criterion, Vertrieb: Eletronic Arts) und "Just Cause"
(Avalange, Vertrieb: Eidos)

Das in klassischem Ego-Shooter-Design und -programmierung gehaltene
"Black" ist bereits im Februar dieses Jahres erschienen. Die
Hintergrundstory des Games entfaltet sich erst nach und nach in Form
von Filmsequenzen zwischen den einzelnen Levels: Der Spieler befindet
sich in der Rolle eines mit Sonderprivilegien ausgestatteten
"Black-Ops"-Kämpfers Jack Keller, der den ehemaligen US-Agenten und
jetzigen Chef der Terroristenorganisation "Seventh Wave", William
Lennox, aufspüren und "neutralisieren" soll. Dabei sind
unterschiedliche natürliche und urbane Terrains mal allein, mal
zusammen mit anderen Kämpfern zu durchforsten, Terroristen, gegnerische
Soldaten und Heckenschützen zu töten. Die Settings sind in
Krisengebieten wie dem ehemaligen Jugoslawien zur Zeit des
Bürgerkrieges situiert.

"Just Cause", das erst im September veröffentlicht wurde, bietet
ebenfalls eine politische Hintergrunderzählung: Dieses Mal spielt man -
aus der 3rd-Person-Perspektive - einen CIA-Agenten, der die Regierung
eines Inselstaates stürzen soll. Das Eiland wird durch den vor kurzer
Zeit an die Spitze geputschten Präsident Mendoza regiert. Dessen innen-
und außenpolitischen und -ökonomischen Interessen stehen denen der USA,
in deren Interesse man agiert, offenbar diametral entgegen. Und so ist
man gehalten durch Unterstützen der konterrevolutionären Kräfte,
Schüren von Konflikten zwischen verfeindeten Verbrecherorganisationen
und paramilitärische Aktionen am Sturz Mendozas zu arbeiten, wobei man
den Inselstaat nach und nach unter die Kontrolle regierungsfeindlicher
Parteien bringt.

"It's a political struggle"

So unterschiedlich beide Spiele auf der (grafischen) Oberfläche auch
sein mögen - sie sind sich nicht nur im Genre ähnlich. Es ist vielmehr
die Ideologie, die hinter beiden Spielkonzepten steht, die sie
miteinander vergleichbar macht.

Während "Black" quasi im Rückblick von verschiedenen realen Krisen- und
Kriegsszenarien berichtet, die an den "internationalen Terrorismus" -
im Spiel durch Lennox und seine "Seventh Wave" repräsentiert -
angelehnt sind, aspektiert "Just Cause" unschwer erkennbar jenes Gebiet
am Golf von Mexiko, das bereits in der Vergangenheit mehrfach Ort
kriegerischer Intervention der USA war und auch heute - etwa aufgrund
des Drogenanbaus in einigen Anreinerstaaten - kritisiert wird.

Dass der Inselstaat, den man als CIA-Agent zu infiltrieren hat, auch
als Kuba erkennbar sein soll, ist schon durch das im
vulgär-revolutionärem Tenor gehaltene Booklet des Spiels zu ahnen. Dort
werden neben Informationen zum Spielhintergrund und der Technik in Form
der fiktiven Tageszeitung "Vanguardia" Nachrichten aus San Esperito
gebracht, in denen es einmal um die Diskreditierung der
Regierungsfeinde geht, an anderer Stelle eine "El-Presidente-Suppe"
beworben oder Appelle an die Jugend formuliert. En passent wird auch in
diesen "Artikeln" (etwa, wenn es um die 80-prozentige Zunahme der
Autodiebstähle geht) die Funktionalität des Spiels beschrieben.

In "Black" ist sowohl in den Zwischensequenzen als auch im Booklet nur
schwer eine narrative Verbindung zum Spielgeschehen auszumachen.
Beinahe scheint es so, als haben es die Ausstatter der deutschen
Version einfach nicht geschafft, das Spiel so weit zu spielen, um den
Begleittext im Heft mit ein wenig mehr Informationen zu füllen, als
dass man sich in der "Welt geheimer Militäreinsätze" befinde und
"Terroristen neutralisieren" müsse.

Ein  Rezensent (2) des Spiels kam aufgrund der nur losen Anbindung der
Paratexte ans Spielgeschehen sogar zu der Ansicht, "ein Bricollage aus
intensiven Kampfhandlungen und entleerten Inhalten" vorzufinden. Doch
was sich hier als Inkohärenz offenbart, ist gleichzeitig als das
Ergebnis einer militärpolitischen und perspektivischen Sinnisolation zu
bewerten.

Subjektivität und Objektivität

Die Spielperspektiven beider Games rekrutieren sich aus literarischen
Erzählerpositionen und sind mittlerweile Standard in der
Unterhaltungssoftware. "Black" kommt in der für das Shooter-Genre seit
"The Eidolon" (LucasFilm-Games, 1984), "Wolfenstein 3D" (id-Software,
1992) oder "Doom" (id-Software, 1991) üblichen First-Person- oder
"Ich-Perspektive" daher: Das Spielgeschehen wird aus der Perspektive
der Spielfigur wahrgenommen. Daraus ergibt sich nicht nur ein
geringerer Gesichtskreis auf das Geschehen, sondern auch der Eindruck
größerer subjektiver Involviertheit des Spielers im Spielgeschehen, die
wiederum mit dem narrativen Setting korrespondiert.

"Just Cause" zeigt die Spielfigur und ihre Umgebung aus der Vogel- oder
"Er-Perspektive". Diese Darstellung wird vor allem - mit variablen
Entfernungen zum Spielgeschehen und den Figuren - in Simulationen und
Strategiespielen eingesetzt. Doch auch Shooter-Spiele haben vor allem
zu Zeiten leistungsärmerer Grafikchips und Prozessoren auf dieses
Setting zurückgegriffen - vgl. "S.W.A.T." (Mastertronic, 1986) oder
"Commando" (Elite, 1985) -, weil hier der szenische Bewegungsablauf
allein durch horizontales, häufiger jedoch vertikales Scrolling
ermöglicht wurde und individuelle Bewegungen der Spielfiguren (und
ihres "Sehapparates") nicht grafisch umgesetzt werden mussten.

In den vergangenen Jahren ist die den Spieler vom Spielgeschehen
moralisch eher distanzierende Er-Perspektive vor allem durch die
"GTA"-Spiele häufig zu sehen gewesen. Und "Just Cause" ist gerade mit
dieser Serie in vielen Dingen verwandt.

Mit den Perspektiven korrespondiert bei beiden Spielen auch das
narrative Setting: So begrenzt bei "Black" der Überblick über die
Spiel-Szenerie ist, so eingeschränkt ist auch der Überblick über die
Rahmenhandlung des Spiels. Das eigentliche Spielgeschehen findet in der
erzählten Vergangenheit statt - die filmischen Zwischensequenzen sind
in der narrativen Gegenwart angesiedelt und berichten in der
Verhörsituation vom Scheitern, auf welches das Spielgeschehen
unaufhaltsam zuläuft. Analog zur Ich-Perspektive in der Literatur ist
der Erzähler hier als subjektive Instanz involviert, der etliche
Informationen fehlen.

Anders bei "Just Cause", wo der Spieler und die Spielfigur voneinander
getrennt sind und sich sowohl situativer wie historischer Kontext
vollständig im Fiktionalen bewegen. Gleichsam von außen betrachtet man
als auktoriale Instanz den Fortgang der Handlung und kann sich
jederzeit - etwa durch einen Blick auf geografische oder politische
Karten - Überblick über das Gesamtgeschehen verschaffen. In "Black"
gibt es bezeichnenderweise keine solche Funktion.

Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln

Beide Spiele behandeln genuin politische Sujets, in beiden soll mit der
Waffe Außenpolitik umgesetzt werden. In "Black" wird das eigene Handeln
einerseits dadurch gerechtfertigt, dass man in der Vergangenheit
abgeschlossene Missionen nur "nachspielt", andererseits man "keine
Konsequenzen zu fürchten" hat, wie das Begleitheft verspricht - warum
man sich dann dennoch vor einem Untersuchungsausschuss zu rechtfertigen
hat, wird nicht erklärt.

So nahe liegend wie das Motiv der Jagd auf einen internationalen
Top-Terroristen als Begründung für die Gewalt der Spielhandlung ist,
geizt auch "Just Cause" nicht mit Rechtfertigungen - immerhin versorgt
der Inselstaat die Welt mit Drogen und trägt totalitäre Züge ("Wenn Sie
mich fragen, brauchen junge Menschen Vorbilder, die ihnen Disziplin und
moralische Grundwerte vermitteln. Vorbilder, wie sie in jeder gut
geführten Armee zu finden sind." - General Jose Durango), die freilich
so weit von denen der USA, die die Insel militärisch infiltrieren,
nicht entfernt sind - nur eben auf der falschen politischen Ideologie
basieren.

Es ist in jüngerer Zeit viel von der Rolle der US-Militärs bei der
Entwicklung und Eigenproduktion von Computerspielen die Rede gewesen.
Ob sich derartiges Engagement auch in der Produktion von "Black" und
"Just Cause" niedergeschlagen haben mag, kann man nur vermuten; sicher
ist, dass sich in beiden Spielen jedoch eine militärische und
politische Logik kondensiert hat, die sich mit den Zielen der
USA-Sicherheits- und -Außenpolitik deckt und den derzeitigen Diskurs
über diese Themen bedient.

Wo "Black" konkrete Interventionen in der Vergangenheit und Gegenwart
durch die Allgegenwart des internationalen Terrorismus rechtfertigt,
"erzählt" "Just Cause" quasi als politische Utopie von den sozialen und
politischen Auswirkungen eines totalitären Regimes für dessen
Bevölkerung und die Weltpolitik. Während man sich dort als Spieler von
Ort zu Ort begibt, begegnen einem immer wieder verarmte, hungernde oder
betrunkene Gestalten, es wimmelt von Prostituierten und
Verbindungsmännern zu den Drogenkartellen.

Alles Indizien für eine bis in die kleinste Zelle korrupte
Gesellschaft, in der Demokratie nur zum Schein besteht und die
Weltsicherheit auf dem Spiel steht ("Da die südamerikanische
Bananenrepublik laut verlässlicher Quellen Massenvernichtungswaffen
entwickelt, müssen Sie alles daran setzen, die Regierung zu stürzen und
den Weltfrieden zu sichern." - Promo-Text)

Die Logik hinter den Einsätzen ergibt sich also quasi aus der
moralischen Verpflichtung des Spielers, Schlimmes oder Schlimmstes zu
verhüten und zwar mit Gewalt. Beide Spiele setzen dabei nicht nur auf
Waffen, sondern bieten weitere Möglichkeiten, Komplotte und
Erpressungen zu veranstalten oder zentrale Dokumente und Ressourcen der
Gegner zu zerstören.

Bei "Black" sind diese Ziele bereits als Sekundärziele in den Spielplot
integriert und müssen ausgeführt werden, um ins nächste Level zu
gelangen. Diese Handlungsweisen sind bereits aus vorangegangenen
Spielen bekannt und bilden bei beiden Games "Nebenkampfplätze", die den
Spielreiz oder Schwierigkeitsgrad erhöhen.

Größer, gefährlicher, vernichtender

Technisch unterscheiden sich beide Spiele natürlich stark voneinander,
was zunächst am unterschiedlichen Spielkonzept liegt. Mit "Black" liegt
sicherlich bislang einer der ausgereiftesten Ego-Shooter vor. Nicht nur
das grafische und akustische Ambiente sind bis ins letzte Detail
authentisch gestaltet, auch die Physik der Umgebung spielt eine
maßgebliche Rolle, wie es bisher nur selten der Fall war.

So sind scheinbare Deckungspositionen abhängig vom Material, aus dem
sie bestehen und durchaus - wie eigentlich alles im Spielfeld - mit
Waffengewalt zerstörbar ("Die besten Schießereien. Die vernichtendsten
Schusswechsel aller Zeiten. Die gesamte Umgebung wird in
Mitleidenschaft gezogen" - Promo-Text). Darüber hinaus bietet das Spiel
eine enorme Anzahl an Gegnern, derer man sich teilweise nur durch
Flucht und Schleichtaktiken erwehren kann ("Die meisten Gegner, die es
jemals in einem Computerspiel gegeben hat. Fünfmal mehr Feinde pro
Level als in konventionellen Spielen garantieren gnadenlose Action." -
Promo-Text). Wenn auch die Werbung hier stark Superlativ-überfrachtet
ist, handelt es sich bei "Black" fraglos um ein für sein Genre sehr
ausgereiftes Spiel.

Ganz anders "Just Cause", das vollständig auf der Engine der
"GTA"-Spiele zu beruhen scheint und beinahe jedes Detail - von der
mangelhaften Grafik bis hin zur Möglichkeit, sich jedes Fahrzeug
aneignen zu können - dieser Serie in sich integriert.
Alleinstellungsmerkmal scheint lediglich die beachtliche Größe des
Spielterrains zu sein, auf dem man sich frei bewegen kann ("1024
Quadratkilometer Berge, Urwälder, Strände, Städte und Dörfer, die es zu
erforschen gilt. Kurz: Die vermutlich größte Spielumgebung aller
Zeiten." - Promo-Text).

Dies besteht jedoch großteils aus bewaldeten Flächen, bewachsen mit
verpixelten Büschen und Bäumen, durch die man hindurchspazieren kann.
Was bei "Black" häufig zu schwierig gestaltet ist - nämlich die Länge
der einzelnen Levels und die nicht vorhandene Möglichkeit den
Spielstand abzuspeichern - gerät bei "Just Cause" zu leicht.

Beinahe aus jeder brenzligen Situation kann man sich evakuieren lassen
oder sich ein Gefährt per Hubschrauber schicken lassen. Ach dieser
Unterschied findet Entsprechung in der politischen Agenda, die
einerseits auf die Heldentaten vergangener Einsätze ("Black"),
andererseits auf die scheinbare Omnipotenz US-amerikanischer
Militärlogistik ("Just Cause") insistiert.

In der Masse der diesjährig neu erschienenen Games nehmen "Black" und
"Just Cause" Sonderstellungen ein - vor allem, weil die
Vorschusslorbeeren in den üblichen Spielbewertungs- und
-bewerbungsgazetten kaum über die üblichen PR-Texte hinausgegangen
sind. Den Diskurs um die Neuerscheinung von "Just Cause" hat Vertreiber
Eidos noch zusätzlich dadurch verschärft, dass schon lange vor
Erscheinen des Spiels keine Ansichtsexemplare mehr für die Presse
verfügbar gewesen sind und diese daher auf ein Promo-Video auf der
Homepage verwiesen wurde, das den Zähfluss des Spielgeschehens und die
Mängel in der Programmierung kaum vermittelt.

Dass beide Spiele dennoch sehr erfolgreich an der Kassen werden
dürften, verdankt sich wohl vor allem auch ihrer Thematik: Anstatt dem
Weltgeschehen als Zuschauer vor dem TV hilflos ausgeliefert zu sein,
kann man in beiden Spielen aktiv eingreifen, virtuelle Fakten schaffen
und der real auswegslosen Situation des Mehrfrontenkriegs gegen den
Terrorismus wenigstens im Retro-Szenario ("Black") oder im Utopischen
("Just Cause") die Stirn bieten.

LINKS

(1) http://www.telepolis.de/r4/artikel/23/23671/1.html
(2) http://www.ikonen-magazin.de/rezension/Black.htm


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