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[infowar.de] Kabel, Knoten und die Verletzlichkeit des Netzes
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29.12.06
Infotech
Vernetzlichkeit
Von Peter Glaser
Am 16. Dezember brach aus bisher unbekannter Ursache das in etwa 3000
Meter Tiefe verlaufende Seekabel "Cantat-3", das Island mit Kanada und dem
nordamerikanischen Datenraum verbindet. Weite Teile der Nordatlantik-Insel
waren auf einen Schlag vom Internet abgeschnitten. Die Reparatur wird
mehrere Wochen dauern.
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Am 26. Dezember zerstörte ein schweres Erdbeben vor Taiwan mehrere
unterseeische Datenleitungen. Ausländische Webseiten waren für die über
120 Millionen südostasiatischen Netznutzer zeitweise nicht mehr
erreichbar. Die Antwortzeiten haben sich zum Teil verdreifacht, und eine
Besserung ist nicht in Sicht. China Telecom gab bekannt, die
Beeinträchtigungen könnten “ziemlich lange” dauern.
Einer irrigen Legende zufolge wurde das Internet als System ohne Zentrale
konzipiert, das auch nach einem Atomkrieg robust weiterfunktionieren
sollte. Die wahre Ursache war profaner. Die Telefonleitungen und die
verwendeten Daten-Verteiler waren damals so wenig zuverlässig, dass nur
eine dezentrale, dynamisch änderbare Struktur sinnvoll erschien. Die
jüngsten Ereignisse lassen jedoch die Frage aufkommen, ob das das Netz
nicht doch verletzlich ist.
Das Internet ist heute ein weltweiter Zusammenschluß von Netzen, der von
etwa 10.000 Internet Service-Providern (ISPs) betrieben wird und hunderte
Millionen Nutzer versorgt. Die Netzknoten des Internet sind nicht
gleichmäßig über die Welt verteilt. Aus verschiedenen Gründen,
geografischen und ökonomischen, findet sich an manchen Orten eine
wesentlich höhere Konzentration von Internet-Knoten als anderswo.
New York City zum Beispiel ist ein Ort mit außergewöhnlich hoher
Netzdichte. Manche nennen die Stadt "superconnected". Allein in Manhattan
drängeln sich etwa 900 ISPs und sechs voneinander unabhängige
Glasfasernetze, die von über 40 weiteren Providern vermarktet werden. 74
nordamerikanische und internationale Telekommunikationsunternehmen haben
ihre Netztechnik in New York stehen. Die Stadt wird von über 100
internationalen Internet-Carriern - Datentransfer-Dienstleistern -
versorgt und verfügt über Direktverbindungen in 71 Länder. Die
Glasfasernetze der großen Telecoms machen New York zu einem der
wichtigsten Daten-Verschiebebahnhöfe der Welt.
Die Übergänge zwischen den verschiedenen Netzen finden meist in
sogenannten "Carrier Hotels" statt. In diesen Gebäuden haben verschiedene
Carrier jeweils Räume für ihre Anlagen gemietet, um sich mit anderen
Carriern gleich nebenan verbinden zu können. Für manchen Carrier, etwa das
Deutsche Forschungsnetz (DFN), war die einzige Verbindungsmöglichkeit zu
den transatlantischen Unterseekabeln, die an der Küste von New Jersey
ankommen, ein Schaltschrank in einem der New Yorker "Carrier Hotels". Bis
zum 11. September 2001.
Im Internet hatte der 11. September 2001 routiniert begonnen. Zwischen 2
und 5 Uhr führte das US-Telekommunikationsunternehmen Verizon an der
Ostküste ein Software-Update in einem speziellen Bereich der
Datenvermittlung durch; einige Übertragungsverzögerungen waren die Folge.
Gegen 6 Uhr früh lief das Netz wieder normal. Nach dem Einschlag des
ersten Flugzeugs um 8:46 Uhr in den Nordturm des World Trade Center stieg
die Netzlast innerhalb von Minuten auf das 3- bis 10-fache. Um 9:02 Uhr
kollidierte United Flug 175 mit dem Südturm. Binnen kürzester Zeit waren
News-Websites wie BBC, CNN, MSNBC, die New York Times oder Yahoo aufgrund
sprunghaft ansteigender Zugriffe kaum noch erreichbar. Die
Internet-Verbindungen waren leistungsfähig genug, Probleme bereitete die
mangelnde Kapazität der Nachrichten-Server.
Um 10:05 Uhr stürzte der Südturm ein und zerstörte die im Gebäude
befindlichen Internet-”Points of Presence” (POPs) der Zugangsanbieter
Verizon und Genuity, ebenso durchlaufende Glasfaserkabel. In einigen
Fällen reparierte sich die Glasfaser-Infrastruktur automatisch, indem sie
sich neue Routen um den Schaden herum suchte. Um 10:28 Uhr stürzte der
Nordturm ein. Die Infrastruktur war nicht ausgelegt, auch noch einen
zweiten Schaden in den Glasfaserleitungen zu überbrücken. Universitäten,
medizinische Hochschulen, Krankenhäuser und die offizielle Website der
Stadt New York waren nicht mehr übers Netz erreichbar.
Um 17:20 Uhr kollabierte das 47-stöckigen World Trade Center Building 7 in
unmittelbarer Nachbarschaft der Zwillingstürme. Das Central Office von
Verizon auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurde dabei schwer
beschädigt, Wände und Kabelkanäle aufgerissen, die Räume zum Teil
überflutet. Für New Yorker Netznutzer läuft der lokale Internetzugang
großteils über die Rechner von Verizon. Eine Reihe von
Konkurrenzunternehmen hatte ihre Anlagen ebenfalls in dem Gebäude
untergebracht, in dem Verizon residierte. Telefon- und Datenverbindungen
blieben den ganzen Abend hindurch unterbrochen.
Etliche Internet-Einrichtungen im Einzugsbereich des WTC-Komplexes liefen
nun mit Notstromaggregaten, aber die Tankfüllungen der Notstromgeneratoren
waren nicht auf lange Laufzeiten ausgelegt. In den frühen Morgenstunden
des 12. September gab es deshalb, als die Reservebatterien an einigen
Generatoren leer waren, weitere Störungen bei Internet-Verbindungen.
Messungen des Internet-Marktforschungsunternehmens Matrix NetSystems
verzeichneten in den Minuten nach dem Einsturz der Zwillingstürme einen
Rückgang in der Erreichbarkeit von Websites um 8 Prozent. Über längere
Zeit wäre das ein ernsthaftes Problem; kurzzeitig treten solche Phänomene
im Netz aber durchaus öfter auf. Innerhalb von 15 Minuten nach dem
Einsturz des Südturms war die gemessene Durchleitungsfähigkeit des
Internet (“routing and reachability”) auf ein normales Maß zurückgekehrt.
Die nachhaltigste Störung verursachte der Einsturz des Nordturms, durch
den die Vermittlungstechnik einer Transatlantikleitung im Mitleidenschaft
gezogen wurde, mit ernsten Konsequenzen für Teile des Internet in Italien
und der Schweiz, Deutschland und Südafrika. Rumänien verschwand gar
tagelang mehr oder weniger von der Internet-Landkarte. Die weltweite
Struktur des Internet zeigte sich von den Anschlägen im übrigen weitgehend
unbeeindruckt.
Aber das Internet ist nicht pure Technik. Es ist ein Kommunikationssystem,
das Menschen mit Menschen verbindet. Deshalb ist es dort wirklich
verletzlich, wo Menschen eben verletzlich sind: in ihren Rechten und
Freiheiten, in ihrer Unversehrtheit und in ihrer Würde.
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