Suche innerhalb des Archivs / Search the Archive All words Any words

[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[infowar.de] Soldaten als Protagonisten der Globalisierung



Infowar.de, http://userpage.fu-berlin.de/~bendrath/liste.html
-------------------------------------------------------------

http://www.fr-aktuell.de/archiv/fr30t/h120020702077.htm

Hollywood wants you

Vom Umweltschützer zum Schauspieler: Soldaten als Protagonisten der
Globalisierung

Von Krystian Woznicki

"Ich habe hier in Afghanistan erkannt, wie wir die kleinen Dinge des
Lebens für selbstverständlich erachten. Musik ist eines dieser Dinge . .
. Ich frage mich, wie sie sich verändert hat, seitdem ich weg bin", gibt
Major Kevin zu Protokoll. Doch so sehr er Musik und all die "kleinen
Dinge" vermisst - Familie, Freunde, seine Tochter Caitlin, Fernsehen und
Zeitungen - "die Opfer lohnen sich", sagt Kevin, "sofern den Afghanen
dadurch geholfen und der Kampf gegen den Terrorismus vorangebracht
werden kann".

Kevins Fußnoten aus dem Exil wurden auf Video festgehalten. Und nicht
etwa vom Pentagon. Kevin selbst hat die Kamera justiert und dann
eigenhändig auf Aufnahme geschaltet. Als er fertig war, hat er das Band
an den US-Musiksender VH1 geschickt, wo in letzter Zeit regelmäßig
solche Videos eintreffen. Sie kommen nicht nur von Armee-Personal in
Afghanistan, sondern auch aus Kuwait und anderen Regionen der Welt, in
die das US-Militär derzeit seine Fühler ausgestreckt hat. So
unterschiedlich die Quellen dieser Aufnahmen sind, sie folgen alle dem
gleichen Prinzip: Die Protagonisten sprechen über ihre persönlichen
Schicksale in der Armee, sie erzählen über ihre Sorgen, Hoffnungen und
Träume und beschreiben die Rolle, die Musik in ihrem Leben spielt. VH1
strahlt sie dann im Rahmen von Military Diaries aus.

Die Serie ist einer der beachtenswertesten Vorstöße der
Unterhaltungsindustrie bei ihrem Annäherungsversuch an den Rüstungs- und
Militärzweig. Doch ist es lange nicht alles, was dieser Mischsektor in
letzter Zeit zu verbuchen hat. So haben CBS und ABC aufwendige
Reality-TV-Formate entwickelt, die dokumentarische Seifenopern von
Kriegsschauplätzen liefern. Mit Jerry Bruckheimer und Tony Scott konnten
Regisseure angeheuert werden, die zwar mit dem Action- und
Kriegsfilmgenre durchaus vertraut sind, allerdings mit der Verlegung
ihres Arbeitsplatzes in reale Kampfzonen unerforschtes Terrain betreten
haben.

Seit dem Frühjahr läuft American Fighter Pilot einmal pro Woche im
US-amerikanischen Fernsehen, demnächst bekommt Profiles einen
Sendeplatz. Auch hier werden aus nächster Nähe Einzelschicksale
beleuchtet, aber auch machtpolitische Zusammenhänge des laufenden
Krieges aus der Innenperspektive erfasst. Neben dem positiven
Propaganda-Effekt wäre damit nicht zuletzt der Bedarf an Informationen
von der vordersten Front gedeckt.

Ein Anlass zur Freude für das Komitee "Hollywood 9/11", das Ende letzten
Jahres von Gerald Parsky, verantwortlich für die vergangene
Bush-Kampagne, zusammengetrommelt wurde. Hoch gestellte Vertreter aus
Hollywood und dem Pentagon beraten seitdem über die Zukunft der
Weltmacht nach den Attacken vom 11. September und haben derzeit offenbar
nur noch ein Ziel vor Augen: Soldaten anwerben. Unter Hochdruck wird die
Suche nach Freiwilligen vorangetrieben. Das Pentagon ist für
Rekrutierungs-PR mittlerweile nicht nur bereit, dem Militär
Kooperationen mit der Unterhaltungsindustrie zu genehmigen, sondern
initiiert sie auch selbst. So kommt mit America's Army demnächst ein
Computerspielpaket auf den Markt, das von der US-Armee entwickelt worden
ist. Als Anspielung auf James Montgomery Flaggs I want
you-Rekrutierungs-Poster aus dem Ersten Weltkrieg und die
Weiterentwicklung des bekanntesten Zivilisationsspiels der letzten Jahre
(The Sims) titelte die L. A. Times ironisch: "Uncle 'Sim' Wants You",
als Americas Army neulich auf der Entertainment Expo in Los Angeles
vorgestellt wurde.

Als Höhepunkt in der unterhaltungsproduktgestützten
Rekrutierungsgeschichte galt bislang Top Gun (1986). Angeblich soll der
Tony-Scott-Film damals einen Zuwachs von über 500 Prozent an
Freiwilligenmeldungen nach sich gezogen haben. Manche Beobachter sagen
sogar, dass der Film den Golf-Krieg überhaupt erst möglich gemacht hat.
Ohne Tom Cruises Heldentaten hätte die Öffentlichkeit jedenfalls nicht
geglaubt, dass Amerika den Krieg gewinnen kann, wie Dr. Lawrence Suid,
ein militärischer Filmhistoriker, zu verstehen gibt.

In Top Gun stehen zwecks besserer emotionaler Anbindung Menschen und
ihre Beziehungen im Vordergrund - der Golf-Krieg war allerdings der
erste, der strategisch mit möglichst wenig menschlichem Einsatz auskam,
der aus der Luft gewonnen und in dem nicht auf das herkömmliche Großheer
rekurriert wurde. Diese Art der Kriegsführung hat auch in Afghanistan
Anwendung gefunden und lässt nicht zuletzt üppige Truppenerhaltung
überflüssig scheinen. Wozu also noch rekrutieren? Doch gerade die
Entwicklungen in der letzten Dekade haben gezeigt, wie das US-Militär
mit dem Strukturwandel umzugehen gelernt hat. Operationen wie "Provide
Comfort" in Kurdistan, "Sea Angel" in Bangladesch, "Restore Hope" in
Somalia, "Uphold Democracy" in Haiti und "Support Hope" in Goma, Zaire,
stellen ein Beschäftigungsprogramm für das US-Militär dar, das im
Fachjargon OOTW abgekürzt wird: operations other than war.

Globale Helfer

Die vielleicht seltsamste Langzeit-Mission dieser Kategorie bestand
darin, aus der US-Marine einen Umweltschutzverein zu machen: Aus
Radaranlagen wurden so genannte ökologische Frühwarnsysteme, die die
Marines bei grenzüberschreitenden Umweltkatastrophen in
Alarmbereitschaft versetzen sollten. Vor allem Probleme wie die
Erderwärmung legten nahe, dass das Einsatzgebiet der Marines sich nicht
nur auf Nordamerika beschränken konnte. Doch auch Erdbeben in
Südamerika, Reaktorunfälle in Südostasien und Epidemien in Afrika
rechtfertigten eine globale Truppenpräsenz. Damit wurde nicht nur Sorge
getragen, dass das Budget des US-Militärs nicht gekürzt werden musste
und die umfangreichen Forschungskapazitäten aufrechterhalten werden
konnten, sondern gleichzeitig auch die Grundlage dafür geschaffen, Krieg
im Namen der Natur und Entwicklungshilfe zu führen - wo immer es gerade
notwendig scheint. Vor diesem Hintergrund ist wenig überraschend, was
jetzt von George W. Bush unter dem Motto "Global Enhancement" betrieben
wird: US-Soldaten sind am Aufbau von Schulen und beim Rasenmähen in
Afghanistan beteiligt, sie bilden das philippinische Heer bei der
Terror-Bekämpfung aus und tun das auch in anderen Ländern zwischen Asien
und Südamerika.

Aus der Beschäftigungstheraphie ist also ein ernst zu nehmender
Arbeitsplatz geworden. Der Soldat von heute ist als Entwicklungshelfer
und Friedensstifter ein Assistent der Globalisierung. Er soll dafür
sorgen, dass sich die US-amerikanische Standarddemokratie weltweit
durchsetzt. Dabei ist er längst nicht mehr nur ein Begleiter des
Globalisierungsprozesses, sondern ist auch zu einem stellvertretenden
Protagonisten herangewachsen: Der Soldat repräsentiert die
Globalisierung, er ist ihr Held und Aushängeschild. Sein Aktionsradius
wird demnach weniger durch einen akuten Notstand festgelegt, als durch
Mechanismen der Repräsentationspolitik.

TV-Serien wie Military Diaries zeigen, wie dabei vor allem im Wohnzimmer
der Daheimgebliebenen operiert wird - eine Front, die durch einen
Paradigmenwechsel etabliert wurde. Phil Strub, Sonderassistent für
Unterhaltungsmedien beim US-amerikanischen Verteidigungsministerium,
erklärt, dass die Unterhaltungskonzerne bei ihm eigentlich immer nur
wegen der Ausrüstung angefragt haben: Panzer, Schlachtschiffe und die
Kampfflugzeuge der US-Armee standen bislang auf der Wunschliste der
Film- und TV-Produzenten. Heute sind jedoch nicht mehr technologisch
hoch entwickelte Maschinen die Stars der Kriegsfilme, sondern echte
Soldaten.

Der Erfolg der zeitgenössischen Kriegsfilme hängt davon ab, wie
realistisch die Träume, Ängste und Wünsche des Soldaten dargestellt
werden können. Alle Daheimgebliebenen nehmen auf diese Weise an einer
virtuellen Mobilisierung teil. Wie nachdrücklich dieser Sog ist, davon
zeugt die Tatsache, dass auch zahlreiche Frauen bei den Military Diaries
zu Wort kommen. Gezielt eingesetzte Altersgruppen- und
Minderheitenrepräsentanten sorgen dafür, dass auch wirklich niemand
ausgeschlossen wird. Der Aufruf konfrontiert alle Abweichler und
Verweigerer mit einem enormen Druck. Alle, die dabei sind, werden
hingegen mental bewaffnet: Ein Konsumentenheer im Wortsinne.

Wie die entsprechenden Konsumartikel aber sich wiederum über mediale
Vertriebskanäle Zugang verschaffen zu den noch unerschlossenen Märkten
der Dritten Welt, davon erzählen Futuristen wie der Autor Bruce
Sterling, der den Begriff des "Military Entertainment Complex" geprägt
hat. In Sterlings aktuellem Bestseller Zeitgeist gerät die Girlgroup
"G7" in den Mittelpunkt des globalen Medieninteresses, als sie mit
billigem Sample-Pop die islamische Welt erobert - angefeuert von ihrem
Manager, der glaubt, dass jeder Entertainer auch ein guter Soldat sein
kann. Und wenn sich Sterlings Zukunftsszenarios über die popgestützte
Eroberung der Welt weiter erfüllen, muss auch Major Kevin bei seinem
nächsten Auslandseinsatz die "kleinen Dinge", insbesondere seine
Lieblingsmusik, nicht missen.



[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 02.07.2002 um 21:44:02 Uhr
Erscheinungsdatum 03.07.2002



---------------------------------------------------------------
Liste verlassen: 
Mail an infowar -
 de-request -!
- infopeace -
 de mit "unsubscribe" im Text.