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Saudischer Richter will das Anschauen des neuen US-Senders al-Hurra
verhindern
Florian Rötzer 09.03.2004
Die Annahme der irakischen Übergangsverfassung ist ein wichtiger Beginn
für eine andere Politik im Irak, gleichwohl könnte die von außen
auferlegte Demokratisierung einer wirklichen Veränderung der Region
auch schaden
Wie brüchig und vorläufig die irakische Übergangsverfassung [1] auch
immer sein mag, die gestern von den Mitgliedern des von der
US-Regierung eingesetzten Regierungsrats unterzeichnet wurde, so ist
sie gleichwohl ein wichtiger Schritt nach vorne auf dem Weg zu einer
Demokratie und könnte für die Region vorbildlich werden. In Afghanistan
wurde die Chance vertan und Konflikte durch die starke Betonung des
Islam programmiert ( Kein Gesetz darf den Prinzipien des Islam
widersprechen [2]). In anderen Ländern wie im Iran ( Iran säubert das
Netz [3]; Keine Wahl, sondern eine Verabredung [4]) oder in
Saudi-Arabien suchen die Konservativen sich jedoch gegen Veränderungen
zu stemmen.
Manche der Regierungen von arabischen Staaten haben wohl auch unter dem
Druck der Neuorganisation des Nahen Osten seitens der US-Regierung
meist sehr vorsichtig damit begonnen, mehr Demokratie zuzulassen und
vor allem auch den Frauen mehr Rechte einzuräumen. Die Männerdominanz
in den muslimischen Gesellschaften ist wohl einer der Gründe für deren
Situation und für die fundamentalistische Auslegung des Islam. Während
in der afghanischen Verfassung steht, dass keine Gesetze dem Islam
widersprechen dürfen [5], betont die irakische Übergangsverfassung,
dass der Islam zwar die Staatsreligion sei und als "eine Quelle der
Rechtsprechung" betrachtet werde, aber dass künftige Gesetze weder die
allgemein anerkannten islamischen Prinzipien noch die demokratischen
Prinzipien und die in der Verfassung aufgeführten Menschenrechte
verletzen darf. Mindestens ein Viertel der Sitze im Parlament sollen
von Frauen besetzt werden. Allerdings scheint die Lage der Frauen und
Mädchen im Irak derzeit durchaus prekär zu sein.
Wie die Verfassung umgesetzt wird, ist natürlich eine andere Frage,
zumal offenbar der Widerstand der Schiiten gegen diese groß gewesen
ist. Nur mühsam überdeckt werden damit die bestehenden Differenzen über
die künftige Machtverteilung und die Ansprüche an Autonomie in dem
Staat, der lange Zeit durch die Diktatur Husseins zusammen gehalten
wurde. Tatsächlich ist aber auch schon die Legitimität der
Übergangsverfassung, die ja nur vom dem nicht vom irakischen Volk,
sondern von der USA eingesetzten Regierungsrat gebilligt wurde,
angreifbar. Ajatollah Ali el Sistani, der einflussreichste schiitische
Geistliche, kritisierte bereits die Übergangsverfassung, die die
Einheit des Landes gefährde, und sprach ihr in einer Fatwa die
Legitimation ab, wenn sie nicht von einem gewählten Parlament
angenommen wird.
Problematisch dürfte auch schon die Bildung einer Übergangsregierung
werden, die ab 30.6.2004 die Macht übernehmen soll ("This government
shall be constituted in accordance with a process of extensive
deliberations and consultations with cross-sections of the Iraqi people
conducted by the Governing Council and the Coalition Provisional
Authority and possibly in consultation with the United Nations.") Die
Übergangsregierung soll die Wahlen vorbereiten, die bis 31.12.2004,
spätestens aber bis 31.1.2005 stattfinden müssen.
Die starke Betonung von pluraler Demokratie, unbedingter Achtung der
Menschenrechte sowie der Frauenrechte ist natürlich auch dem Druck der
US-Regierung zu verdanken. US-Zivilgouverneur Paul Bremer hatte
bekanntlich mit einem Veto gedroht, wenn der Islam als als die Quelle
für das irakische Recht erklärt werde. Die Ankündigung hatte zwar
Proteste hervorgerufen, aber die Übergangsverfassung ist eben eine
solche und dazu noch dehnbar, weswegen die ernsteren Konflikte eher um
die künftige Machtverteilung vor allem zwischen den Schiiten und den
Kurden gingen. Der kurdischen Minderheit wurde die Möglichkeit
eingeräumt, gegen die endgültige Verfassung ein Veto einzulegen, auch
wenn die Mehrheit sie billigt.
Kampf der Medien und Ideologien
Die US-Regierung wollte mit dem Sturz Husseins im Irak im Sinne einer
Dominostrategie eine Musterdemokratie errichten, das auf die Region
ausstrahlt und diese umkrempelt. Ob dies gelingen wird, ist eine andere
Frage, zumal nun demokratische Reformen als amerikanisches Paket
erscheinen, das den arabischen Ländern aufgedrängt wird. Die
Fundamentalisten erhalten so eine Art Legitimation, die Abwehr von
politischen Reformen mit dem Erhalt der muslimischen und nationalen
Identität und Souveränität zu verbinden, was auch als ideologischer
Sprengstoff von al-Qaida eingesetzt wird.
Gerade eben wieder demonstrierte Sheikh Ibrahim Al-Khudairi, Richter am
Obersten Islamischen Gericht in Riad, wie das geht. In einer Fatwa, die
in der saudischen Zeitung al-Hayat veröffentlicht wurde, ordnete er an,
dass das Anschauen des Programms des amerikanischen Fernsehsenders
al-Hurra [6] verboten sei. Es soll auch keine Werbung dort geschaltet,
eine Kooperation mit ihm sei auch verboten. Teufelszeug also. Fatwas
sind nicht bindend, aber solche Aktionen zeigen doch, dass die
reaktionären Kräfte sich zunehmend bedroht fühlen und Angst vor den
Inhalten haben, die über die Medien ins Land kommen.
Der durch amerikanische Steuermittel finanzierte (62 Millionen Dollar
für das erste Jahr) Fernsehsender al-Hurra (Der Freie) hat letzten
Monat mit seinem Programm begonnen und deckt 22 arabische Länder ab.
Zunächst sendet er ein kostenloses tägliches 14-Stunden-Programm ohne
Werbung, das bald zum 24-Stunden-Programm ausgebaut werden soll. Er
soll die von amerikanischer Seite kritisierte einseitige
Berichterstattung arabischer Sender wie al-Dschasira ausgleichen und
tritt damit als Maßnahme neben den schon länger existierenden Radio
Sawa. Im Irak selbst hat das Pentagon den alten Hussein-Sender
übernommen und daraus mit bislang eher mäßigem Erfolg das Iraq Media
Network aufgebaut. Al-Hurra hingegen wird vom Broadcasting Board of
Governors ( BBG [7]) betrieben, der u.a. auch verantwortlich ist für
Voice of America, Radio Farda, Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL)
oder Radio Free Asia (RFA). Auftrag des Senders ist die Übermittlung
von "genauen, ausgewogenen und umfassenden" Informationen, allgemein
sollen die BBG-Programme Demokratie und Meinungsfreiheit fördern:
The mission of U.S. international broadcasting is to promote the open
communication of information and ideas, in support of democracy, and
the freedom to seek, receive, and impart information, worldwide.
Al-Hurra beschäftigt an die 200, meist arabische Journalisten, hat
seinen Hauptsitz aber nicht in der Region, sondern in Springfield bei
Washington. Direktor ist Mouafac Harb, der zuvor das Büro der Zeitung
al-Hayat in Washington geleitet hat, in der nun wiederum die Fatwa
gegen al-Hurra publiziert wurde. Auch wenn der Sender tatsächlich
ausgewogen berichten sollte, dürfte er für viele in der Region als
Sprachrohr der USA gelten. Vorgeworfen [8] wurde ihm von Beginn an,
dass es sein Ziel sei, die islamischen Werte zu zerstören und die
Menschen einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Auch nach dem Start gab es
viele ablehnende Aussagen [9] in den arabischen Medien, die vielleicht
auch nur Angst vor Konkurrenz haben.
Der saudische Richter und Geistliche, der sich zwar das Programm nicht
näher angeschaut haben soll [10], aber meint, er habe darüber genug
gelesen, behauptet [11] dennoch präventiv, dass er "einen Krieg gegen
den Islam führen und die Welt amerikanisieren" will. Er verbreite
"Korruption", sein alleiniger Zweck sei es, die Araber "zu schwächen
und zu kontrollieren", "amerikanische Agenten" seien bei ihm
beschäftigt.
Das Ziel des Senders ist es, die amerikanische Hegemonie über die Welt
in den religiösen, politischen und sozialen Bereichen zu befördern.
Für den Richter ist der Sender schlicht ein Bestandteil des
"andauernden ideologischen Kriegs, der heimlich darauf ausgerichtet
ist, die arabische Identität und die Eigenschaften des Islam zu
zerstören". Die Verbreitung des "Unglaubens" sei sein Ziel.
Symptomatisch setzt der saudische Richter damit Aufklärung und
Demokratie gleich mit amerikanischen Interessen, allerdings konform mit
der US-Regierung, die ihre Politik durch weltgeschichtlichen Auftrag
zur Demokratisierung begründet sieht.
Liberalisierung und Aufklärung hatten auch in Europa die Macht des
Klerus geschwächt und schließlich zur Trennung von Kirche und Staat
geführt. Das steht wohl auch in allen muslimischen Ländern früher oder
später an, möglicherweise aber haben es die reformerischen Kräfte in
der Region nun noch schwerer, weil der Aufbruch nicht von innen kommt,
sondern von außen aufgedrängt zu sein scheint (und ist). Wahrscheinlich
hätte beispielsweise allein auch schon die Vielzahl der miteinander
konkurrierenden Medien, die in der letzten Zeit entstanden sind, neben
demokratischen Reformen zu einer allmählichen Veränderung der Kultur
geführt, ohne dass die US-Regierung noch einen Regierungssender hätte
etablieren müssen, dessen bloße Existenz bereits das Misstrauen schürt.
Aber da die US-Regierung vor allem daran zu glauben scheint, dass die
ablehnende Haltung vieler Menschen in der Region vornehmlich durch die
falsche Information von einseitigen Medien wie al-Dschasira und Co.
verursacht wird und andere Informationen das Image der USA ohne
politischen Kurswechsel verbessern würden, ist al-Hurra selbst ein
Symptom der wechselseitigen Missverständnisse und der jeweiligen
Machtinteressen.
Links
[1] http://www.cpa-iraq.org/government/TAL.html
[2] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ost/16019/1.html
[3] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ost/16918/1.html
[4] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ost/16811/1.html
[5] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ost/16019/1.html
[6] http://www.alhurra.com/
[7] http://www.bbg.gov/
[8]
http://www.reuters.com/newsArticle.jhtml?type=worldNews&storyID=4361198
[9] http://www.middle-east-online.com/english/?id=8910
[10]
http://english.aljazeera.net/NR/exeres/8F5D69C8-E38C-41C0-882E-DE88D7A39
E8C.htm
[11]
http://www.arabnews.com/?page=1§ion=0&article=40854&d=9&m=3&y=2004
Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/deutsch/special/ost/16924/1.html
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