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Geister der Realität

Thomas Pany   30.05.2004 

Kriegsbilder und Inszenierungen: Iconic Worlds in Israel 

Wer die Medien kennt, der inszeniert. Der neuen Macht der Bilder, dem 
 "Iconic Turn" [1], Thema einer prominent besetzten Vorlesungsreihe an 
der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, wollte man an einem ganz 
besonderen Platz auf die Spur kommen, weswegen die Initiatoren, die 
 Hubert Burda Media [2], zu einer dreitägigen Konferenz nach Israel 
luden. 

"Iconic Worlds...more than what we see" lautete der Titel der 
 Veranstaltung [3] in einem Land, das wie kein zweites das Reden über 
Bilder einem hoch aufgeladenen Spannungsfeld aussetzt. Ein Land, in dem 
das traditionelle jüdische Bilderverbot und die gegenwärtige 
internationale Spitzenposition in der Erforschung bildgebender 
Verfahren - Imaging - nur die harmlosesten widersprüchlichen Pole 
markieren. 

"Man sieht nicht fern in Mea She'arim, dem orthodoxen Viertel in 
Jerusalem", mokiert sich ein israelischer Nachwuchswissenschaftler. "TV 
ist dort verboten, Computer sowieso und Mobiltelefone auch. Aber 
Werbeplakate für Mobiltelefone, die sieht man dort an jeder Wand". 
Anderswo, in den Forschungslaboren des  Weizmann-Instituts [4] in 
Rehovot, blickt man mit neuesten Techniken in das Innere des 
menschlichen Körpers. 

...more than what we see 

Widersprüche, die mit Witzen über die anachronistische Lebensweise der 
Ultrareligiösen kommentiert wurden. Dass vor den medizinischen 
Vorträgen auch Bilder aus der militärischen Forschung präsentiert 
wurden - 3-D-Modelle, die Soldaten auf Einsätze in palästinensischen 
Gebieten vorbereiten; biometrische Verfahren zur Gesichtserkennung von 
Terroristen - evozierte zwar manch anerkennende Bemerkungen über die 
Rechnerleistung, déjà-vu Erlebnisse aus Computerspielen und einige 
Fragen zur Art der Überwachung, welche imstande sein sollte, 
Terroristen ohne körperliche Kontrollen an Flughäfen zu detektieren. 
Der Widerspruch, der sich hier andeutete, wurde in einigen Gesprächen 
am Rand erörtert: hochentwickelte Visualisierungstechniken auf der 
einen Seite, auf der anderen Seite die "Unsichtbarkeit" von 
Palästinensern außerhalb des "Terroristen-Framings". 

So antwortete ein Konferenzteilnehmer, der in Israel lebt, auf die 
Frage, wie präsent die Palästinenser in der israelischen Öffentlichkeit 
- im Fernsehen, in Tageszeitungen und in Gesprächen - seien, damit, 
dass es nur eine "Medienstrategie" der Palästinenser gäbe, nämlich die, 
für möglichst viel Entrüstung in den westlichen Medien zu sorgen. Dafür 
nehme man die ganze Zivilbevölkerung als Geisel. Diese Art der 
Darstellung in den Medien, die man auf der "anderen Seite" dauernd 
suche, habe teuflische Auswirkungen für die Palästinenser selbst, weil 
man dadurch auf die Hilfe anderer angewiesen sei, statt selbst 
Initiativen zur Verbesserung der Verhältnisse zu ergreifen. 

Everybody knows media 

Offiziell wurden die politischen Implikationen des "Iconic Turn" am 
letzten Tag der Konferenz besprochen: "War of Images - Images of war?", 
hieß das Thema der Panel-Diskussion an der Ben-Gurion Universität in 
Beer Sheva. 

"Bilder sind Geister der Realität und das bekannte Diktum, dass ein 
Bild mehr wert ist als tausend Wörter, ein Klischee." Jedes Bild 
benötige tausend Wörter, damit es verstanden werde, sagte  Micha 
Bar-Am [5], Israels bekanntester Kriegs-Fotograf. 

Yom-Kippur Krieg, Foto: Micha Bar-Am   

"Die eindrücklichsten Kriegsbilder sind inszeniert." Die Bilder, die in 
Erinnerung geblieben sind, hätten sich in ihrer Bildsprache oft an 
ikonischen Vorlagen - wie der Kreuzigung und der pietà - orientiert, 
Fotos von Robert Capa und anderen Großen zeigten dies ganz deutlich. 
"Heute hat beinahe jeder eine Digitalkamera, die Rolle von 
professionellen Fotographen, die einer Ethik folgen, wird weniger 
wichtig." 

 Everybody knows media. Jeder kennt heute die Medien und jeder bedient 
sich ihrer nach seinen Interessen.   

Er sei zufällig Zeuge einer Szene gewesen, bei der eine Frau aus einem 
Haus, das von der israelischen Armee abgerissen werden sollte, heraus 
gerannt kam, die Haare raufend, mit lauten Klagegeschrei. Da sei ihr 
Mann auf den Plan getreten und habe ihr gesagt: "Es sind nur Reporter 
und Fotografen hier. Hebe dir deine Stimme fürs Fernsehen auf." 

Who shot the boy? 

Die Spielarten des Verhältnisses von Wort und Bild beherrschten die 
Diskussion. "Ein Bild ist keine tausend Wörter wert; es kann tausend 
Bedeutungen annehmen. Bilder haben kein Leben aus sich selbst heraus", 
bemerkte Dov Shinar, der Leiter des Departments für Communication 
Studies der Ben-Gurion-Universität. Erst die Bildunterschrift liefere 
die Bedeutung; den Rahmen dafür setze die Politik. 

Arie Naor, ehemaliges Mitglied der Begin-Regierung, machte in diesem 
Zusammenhang geltend, dass sich das Image von Israel in der Welt auf 
den Kopf gestellt habe. Sei Israel früher der David gegenüber dem 
Goliath der arabischen Staaten gewesen, sei es mittlerweile umgekehrt. 
Niemand  frage [6] mehr "who shot the boy?", wenn man auf das berühmte 
Foto des palästinensischen Jungen in den Armen seines Vaters verweise, 
die spontane Antwort laute immer gleich: "Israel" (  Die Politik der 
Behauptung [7]). 

Die Kritik an den Medienmachern nahm Dagmar Engel, Chefredakteurin der 
Deutschen Welle-TV auf und reichte sie mit einer Spitze gegen die 
Politik weiter: 

 Wir sind nicht hier, um zu urteilen. Wir sind hier, um fair zu sein. 
Bei einem asymmetrischen Krieg platziert man sich eher auf Seiten der 
Opfer.   

Paul Frosch, Dozent für Kommunikationswissenschaft und Journalismus, 
bemängelte die journalistische Berichterstattung, welche mehr und mehr 
auf eine Illusion des Live-Ereignisses abziele. Als Beispiel erwähnte 
er das Video eines israelischen Fernsehsenders, in dem Rettungsaktionen 
und Chaos unmittelbar nach einem Sprengstoffattentat auf einen Bus zu 
sehen waren habe, das viele Stunden später in der abendlichen 
Nachrichtensendung völlig "roh" präsentiert wurde, redaktionell 
unbearbeitet, so dass beim Zuseher der Eindruck entstehen musste, die 
Bilder seien live (  Die Macht der (grausamen) Bilder [8]). Für Frosch 
ein Indiz der Ideologie einer unmittelbaren Präsenz, ein Trend bei 
TV-Nachrichtenpräsentationen, der dazu führe, dass die für Reflexion 
nötige Distanz aufgehoben werde. 

Fälschung und Wahrheit 

Der Ästhetikprofessor Bazon Brock machte schließlich darauf aufmerksam, 
dass der Streit um die Beweiskraft von Bildern von den Medien selbst 
gar nicht gelöst werden könne. Der dauernd geforderte Evidenzbeweis 
könne logisch innerhalb der Medien nicht geführt werden, weil die 
Medien selbst erst diese Fragen produzierten. Für diese Diskussion 
müsse eine andere Ebene hereingeholt werden: die theologische 
Tradition, die auf lange Erfahrungen im Streit darüber verfügt, wie 
viel Wahrheit einem Bild zugestanden werden kann. Im Zentrum der Frage, 
welche Macht Bilder besitzen, stünden theologische Argumente. Die neuen 
Medien seien dazu gezwungen, die alte Geschichte wiederzuentdecken. 

Das traditionelle Bilderverbot fordere, dass ein Verzicht geleistet 
werde: das Wegsehen. Bestimmte Bilder, so Brock, seien nur dazu da, vom 
Betrachter zu fordern, dass er wegsehen solle. Die Demütigungen, die 
auf den Bildern von Abu Ghuraib zu sehen sind, würden nach 
theologischen Maßstäben verbieten, das Bild anzusehen, da man durch die 
Betrachtung das Opfer erneut entwürdige und damit die Demütigung 
wiederhole. So gesehen, meint Brock, seien die gefälschten Bilder, 
welche der englische Mirror veröffentlicht habe, um vieles 
intelligenter als die amerikanischen Bild-Trophäen aus Abu Ghuraib 
(vgl.  Wahrheit und Täuschung im Medienkrieg [9]). 

Links 

[1] http://www.iconic-turn.de
[2] http://www.hubert-burda-media.com
[3] http://burdacenter.bgu.ac.il/
[4] http://www.weizmann.ac.il/
[5] http://www.michabaram.com
[6] http://www.theatlantic.com/issues/2003/06/fallows.htm
[7] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/auf/12380/1.html
[8] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/auf/16690/1.html
[9] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/17426/1.html

Telepolis Artikel-URL: 
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/konf/17542/1.html 

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