[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
[infowar.de] Update und Entwarnung zu Estland / Russland / Cyberterrorismus
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,483583,00.html
SPIEGEL ONLINE - 18. Mai 2007, 16:42
CYBER-ANGRIFFE
Estland schwächt Vorwürfe gegen Russland ab
Von Konrad Lischka
Cyber-Krieg im russischen Auftrag? Der Leiter der estnischen Organisation
für Computerssicherheit CERT bezweifelt gegenüber SPIEGEL ONLINE eine
direkte Verantwortung der russischen Regierung. Er sieht hier vor allem
Privatleute am Werk. Das Vorgehen der Cyber-Krieger stützt diese These.
Heute ist ein recht ruhiger Tag im estnischen Internet: Die Nutzer können
wieder Zeitung lesen, sogar Online-Banking ist möglich. Aber das kann sich
jederzeit wieder ändern. Seit dem 27. April nehmen Hacker Estland unter
Dauer-Beschuss, legen immer wieder Server lahm. Über die Urheber und
Hintermänner der Angriffe ist ein heftiger Streit entbrannt. Der estnische
Außenminister Urmas Paet hatte russische Regierungsorgane beschuldigt,
Russland wies die Vorwürfe zurück. Jetzt entschärft Estland überraschend
seine Vorwürfe.
"Wir haben keine Beweise, dass die Angriffe von einem einzigen konkreten
Urheber ausgehen", sagte Hillar Aarelaid, Leiter des estnischen "Computer
Emergency Response Team" (CERT) zu SPIEGEL ONLINE. Das von der Regierung
eingesetzte CERT koordiniert seit einem Jahr die Verteidigung gegen
Angriffe im estnischen Adress-Raum ".ee". Damit widerspricht Aarelaid dem
estnischen Außenminister Paet direkt, der angegeben hatte, Cyber-Angriffe
zu "konkreten Personen und konkreten Computern russischer
Regierungsorgane" zurückverfolgen zu können.
10-Jährige am Werk
Sicherheits-Experte Aarelaid folgert aus den verwendeten Angriffsmethoden
hingegen, dass hier eher Privatleute ohne zentrale Steuerung am Werk sind.
Er sagte zu SPIEGEL ONLINE: "Die Qualität der Angriffe ist höchst
unterschiedlich. Das reicht vom 10-jährigen Skriptkiddie, das einfach mal
so Hackertools ausprobiert bis hin zu Menschen, die offensichtlich zehn
Jahre Hacker-Erfahrung haben."
Skriptkiddie ist ein abfälliger Ausdruck für junge Computer-Nutzer, die
vorgefertigte Bausätze und im Web kursierende Anleitungen benutzen, um
Schaden anzurichten. Entsprechende Aufrufe und Erläuterungen kursieren
laut Aarelaid in russischsprachigen Internet-Foren: "Da sind viele junge
Leute sehr wütend."
Patriotismus und Zorn
Die Wut brach los, als der schon lange schwelende Konflikt zwischen
Russland und Estland am 27. April neues Feuer erhielt: Estland ließ ein
sowjetisches Denkmal für den "unbekannten Soldaten" aus dem Zentrum der
Hauptstadt Tallinn auf einen Soldaten-Friedhof verlegen. Für Russland und
die große russische Minderheit in Estland war das Denkmal eine Erinnerung
an die Opfer des Zweiten Weltkriegs. Esten hingegen interpretierten die
Statue eher als Symbol der sowjetischen Kontrolle Estlands.
Ein Thema also, bei dem Patriotismus leicht in Zorn umschlägt. Und es
genügt, wenn das ein paar Internet-Kundige genug anstachelt - sie können
mit den richtigen Werkzeugen genug Schaden anrichten - da braucht es keine
generalstabsmäßige Planung. Sicherheits-Experte Aarelaid sieht keine
zentrale Instanz hinter den Angriffen gegen den estnischen
Internet-Adressraum: "Das Vorgehen sieht nicht danach aus, dass ein
zentrales Kommando dahinter steht. Wobei ich über Anleitungen, Anwerbungen
und all das nichts sagen kann - das klären die Geheimdienste."
Simple und avancierte Angriffe
Sicher sind jedenfalls diese Tatsachen: Die Angreifer versuchen mit
sogenannten Denial-of-Service-Attacken Server gezielt zu überlasten, bis
diese unter der übergroßen Menge von den Angreifern erzeugter
Datenanfragen zusammenbrechen. Andere Seiten wurden einfach verunstaltet,
ursprüngliche Inhalte durch anti-estnische Propaganda ersetzt. Solche
Defacement genannten Attacken sind alles andere als selten und für
rivalisierende Defacer-Gruppen ein regelrechter Sport: Täglich kommt es
weltweit zu Tausenden erfolgreichen Attacken dieser Art. An normalen Tagen
zählen Beobachter zwischen 1500 und 3000 entsprechende Attacken.
Bei der Auswahl der Angriffsziele hatten die Cyberkrieger in diesem Fall
offenbar nicht den größtmöglichen Schaden im Blick: Angegriffen wurden
nicht nur Regierungsseiten und Banken, sondern auch Zeitungen, ein
Wald-Schulheim und sogar ein Forum von Ford-Tuning-Begeisterten.
Warum sind unter den Opfern so viele harmlose, für die Infrastruktur
Estland nun wirklich nicht entscheidende Seiten? Eine mögliche Erklärung:
Sie haben zwei für junge, böswillige, zornige Computer-Verrückte
entscheidende Gemeinsamkeiten: Sie werden von Esten genutzt und sie haben
eine mit vorgefertigten Werkzeugen zu knackende Sicherheitslücke.
Die kann jeder Internet-Nutzer mit dem entsprechenden - illegalen, aber im
Netz zu findenden - Werkzeug aufspüren und ausnutzen. Schritt 1: Mit einem
Werkzeug baut man eine Datenbank so genannter IP-Adresse auf. Im zweiten
Schritt scannt ein anderes Werkzeug diese Adressen automatisch auf
bestimmte, durch Schadprogramme ausnutzbare Schwachstellen. Und dann muss
man nur noch das entsprechende Schadprogramm auf die gefundenen Seiten
ansetzen.
Die Armeen der Zombie-Rechner
Solche Methoden haben auch einige Angreifer in Estland genutzt, bestätigt
CERT-Chef Hillar Aarelaid. Andere sind avancierter vorgegangen, haben zum
Beispiel Botnetze verwendet. Gemeint ist damit eine Infrastruktur vieler
von einem Schädling infizierter Rechner, die sich zentral - ohne Wissen
der Besitzer - steuern lässt. Die für Angriffe gegen estnische Webseiten
genutzten Computer standen den Internet-Adressen nach in den Vereinigten
Staaten, Kanada, Brasilien und Vietnam. Solche Netzwerke nutzen heute vor
allem Spam-Versender - sie mieten dabei die Botnetze von den Autoren der
Schadprogramme.
Vor einigen Jahren noch haben Kriminelle Botnetze auch für sogenannte
verteilte Denial-of-Service-Angriffe genutzt: Erst forderten sie von
Seiteninhaber Schutzgeld, gingen diese nicht auf die Erpressung ein,
wurden ihre Seiten von der Anfragewelle eines Botnetzes überschwemmt.
Inzwischen ist die Nutzung solcher Botnetze für Spam aber viel lukrativer
als die für Denial-of-Service. So interpretierte jedenfalls das
Sicherheitsunternehmen Symantec den Rückgang von
Denial-of-Service-Angriffen und den gleichzeitigen Anstieg des
Spam-Volumens im zweiten Halbjahr 2006.
Keine Spur in den Kreml
Das bedeutet im Fall Estland: Entweder haben hier Botnetz-Kontrolleure aus
eigener Wut heraus einen Angriff gestartet - oder jemand hat wirklich gut
gezahlt, vielleicht Druckmittel benutzt. Doch diese Spuren werden kaum bis
zum eigentlichen Urheber zurückzuverfolgen sein - wenn der denn existiert.
Der finnische Anti-Virus Experte Mikko Hyppönen, Forschungsleiter bei
F-Secure, sagte dem Helsingin Sanomat "Es wird schwierig sein, hier eine
Verantwortung des russischen Staats zu belegen."
Da stimmt ihm der estnische CERT-Chef Hillar Aarelaid zu: "Wenn
tatsächlich eine Instanz hinter diesen Angriffen steckt, wird sie schlau
genug sein, ihre Spuren zu verwischen." Er betont, dass inzwischen die
Folgen fast jeden Angriffs nach höchstens einer Stunde behoben sind, dass
die Wirkungen der letzten großen Angriffe ohnehin nur noch wenige
Privatanwender bemerkt hätten. Darüber hinaus hofft Aarelaid auf ein paar
ruhige Tage wie heute und darauf, dass "die Gemüter sich abkühlen - dann
werden auch die Angriffe nachlassen."
---------------------------------------------------------------------
To unsubscribe, e-mail: infowar -
de-unsubscribe -!
- infopeace -
de
For additional commands, e-mail: infowar -
de-help -!
- infopeace -
de